Cäsar Birotteau (German Edition)
ausgezahlt worden. Roguin würde ins Zuchthaus kommen, wenn man ihn hätte.«
»Was, Fräulein Cäsarine, Roguin ist durchgebrannt?« fragte Anselm Popinot, als er hörte, von wem die Rede war. »Ihr Herr Vater hat mir kein Wort davon gesagt und ich gäbe doch mein Blut für ihn ...«
Cäsarine verstand, daß mit diesem »für ihn« die ganze Familie Birotteau gemeint war. Anselms Augen verrieten es ihr deutlich genug. Sie wurde über und über rot.
»Ich habe es gewußt«, flüsterte sie, »und habe es Vater auch gesagt. Er hat sich nur mir entdeckt und Mutter alles verhehlt.«
»Sie haben ihm von mir gesprochen!« sagte Anselm. »Sie lesen in meinem Herzen! Lesen Sie aber auch alles darin?«
»Wer weiß?« lachte sie schelmisch.
»Ich bin überglücklich! Wenn Sie mir alle Furcht nehmen wollten, Fräulein Cäsarine, dann will ich in einem Jahre so reich sein, daß mich Ihr Vater nicht mehr schlecht behandelt, wenn ich um Ihre Hand bitte. Ich werde fortan nachts nicht mehr als fünf Stunden schlafen.«
»Überanstrengen Sie sich nicht, Herr Anselm«, warnte ihn Cäsarine mit einem Blick, in dem ihre ganze Seele lag.
»Konstanze!« bemerkte Cäsar, »ich glaube, die beiden Leutchen lieben sich.«
»Desto besser!« sagte Konstanze ernst. »Dann wird unser Kind die Frau eines klugen und willensstarken Mannes. Das Können ist die beste Aussteuer eines Mannes!«
Sie eilte aus dem Salon in Frau Ragons Zimmer. Während des Essens hatte Birotteau Reden vom Stapel gelassen, die eine derartige Ignoranz bewiesen, daß Pillerault und der alte Popinot laut aufgelacht hatten. Die unglückliche Frau wurde dadurch zu ihrem Schmerz daran erinnert, wie wenig Kraft und Geist ihr Mann gegen das Unglück ins Feld zu führen hatte. Die Tränen übermannten sie, und schluchzend sank sie Frau Ragon in die Arme, ohne die Ursache ihres Kummers gestehen zu wollen.
»Es ist Nervenschwäche!« entschuldigte sie sich.
Den Rest des Abends verbrachten die Alten mit Kartenspiel, während sich die Jugend harmlosen Gesellschaftsspielen überließ.
Auf dem Heimwege sagte Konstanze zu ihrem Manne:
»Cäsar, geh am Dritten zu Nucingen, damit du dich lange vor dem Fälligkeitstage sicherst. Wenn die Sache einen Haken haben sollte, findest du anderweitige Hilfe nicht von heute auf morgen!«
»Ich werde es tun, liebe Frau!« versprach Birotteau, indem er die Hände seiner Frau und seiner Tochter drückte. »Ich habe euch kein hübsches Neujahrsgeschenk beschert!«
»Nur Mut, Cäsar!« tröstete Konstanze.
»Es wird alles gut werden, Väterchen!« fügte Cäsarine hinzu. »Herr Anselm hat mir gesagt, er würde sein Blut für dich geben...«
»Für mich ?« scherzte Birotteau. »Für mich mit, meinst du wohl?«
Cäsarines heimlicher Händedruck gestand dem Vater, daß sie Anselms Braut war.
In den ersten drei Tagen des neuen Jahres liefen zweihundert Neujahrskarten ein. Eine solche Flut von echten und falschen Gunst- und Freundschaftsbezeigungen ist für Leute, die sich dicht vor einem Unglücke sehen, eine wahre Qual.
Birotteau versuchte dreimal vergeblich, eine Unterredung mit dem berühmten royalistischen Bankier, dem Baron von Nucingen, zu erlangen. Der Jahresbeginn und seine Festlichkeiten rechtfertigten das. Beim letztenmal erhielt er den Bescheid, der Baron wäre erst um fünf Uhr früh von einem Ball heimgekehrt und sei nicht vor einhalb zehn zu sprechen.
Cäsar verstand es, den ersten Buchhalter für seine Sache zu interessieren, indem er fast eine halbe Stunde mit ihm plauderte. Noch an demselben Tage schrieb ihm dieser Minister des Hauses Nucingen, der Bankier wolle ihn am nächsten Tage mittags zwölf Uhr empfangen. Obwohl jede Stunde einen Tropfen Wermut brachte, verging der Tag doch schrecklich schnell.
Als Birotteau aus der Droschke stieg, ward ihm angesichts des Glanzes dieses Bankhauses beklommen zumute.
Dieser Nucingen hat schon zweimal liquidiert, sagte er bei sich, als er die prächtige mit Blumen garnierte Treppe hinaufging und dann durch die Prunkgemächer schritt, durch die die Baronin Delphine von Nucingen mit den reichsten ihr noch verschlossenen Häusern der Vorstadt Saint-Germain rivalisieren wollte.
Der Baron frühstückte mit seiner Frau. Obgleich in den Wartezimmern eine Menge Leute saßen, ließ der Bankier Birotteau sagen, Freunde du Tillets hätten jederzeit Zutritt. Cäsar bebte vor Hoffnung, als er die Veränderung; wahrnahm, die diese Worte auf dem erst unverschämten Gesichte des Kammerdieners
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