Cäsar Birotteau (German Edition)
Venus-Wassers hieß, erfreute sich Cäsar des sanguinischen Temperaments. Sanguiniker überanstrengen ihre Gefühls- und Gedankenkräfte; deshalb bedürfen sie sehr der Ruhe und des Schlafes, um den Kräfteverlust immer wieder zu ersetzen. Die beiden Frauen kannten ihn. Cäsarine geleitete ihren Vater in den Salon und spielte ihm, um ihn aufzuheitern, etwas auf dem Klavier vor, den »Traum Rosseaus«, ein. ganz niedliches Stück von Herold. Konstanze setzte sich mit einer Handarbeit neben ihn. Der arme Mann lehnte den Kopf an die Sofalehne. Jedesmal, wenn er zu seiner Frau hinsah, erntete er ein sanftes Lächeln, und so nickte er ein.
»Armer Cäsar!« flüsterte Frau Birotteau. »Welches Leid wartet seiner! Wenn er nur nicht zusammenbricht!«
»Liebe Mutter, was hast du?« fragte Cäsarine, als sie ihre Mutter weinen sah.
»Mein liebes Kind, ich halte den Ruin unseres Geschäftes für unabwendbar. Wenn sich Vater gezwungen sehen sollte, seinen Konkurs anzumelden, dann dürfen wir niemandes Mitleid anflehen. Wir müssen uns selber durchhelfen! Liebe Cäsarine, mach dich gefaßt, ein einfaches Ladenmädchen zu werden! Wenn ich sehe, daß du dich mutig in dein Schicksal fügst, dann werde auch ich die Kraft haben, ein neues Leben anzufangen! Ich kenne den Vater. Er wird keinen roten Heller unterschlagen. Ich werde nichts beanspruchen, und so wird man alles verkaufen, was wir besitzen. Du, mein liebes Kind, trage deinen Schmuck und deine Garderobe morgen zum Onkel Pillerault! Du bist zu nichts verpflichtet.«
Cäsarine erschrak grenzenlos. Es fuhr ihr durch den Sinn, ob sie nicht Anselm aufsuchen solle, aber ihre Schamhaftigkeit brachte sie davon ab.
Am andern Morgen ging Birotteau, von wiederum andern Ängsten gequält als den bereits ausgestandenen, nach der Rue de Provence. Einen Kredit erbitten, das ist im Geschäftsleben nichts Besonderes. Wenn man etwas unternimmt, braucht man unbedingt Geld dazu. Aber um Prolongation von Wechseln bitten müssen, das ist immer der Anfang vom Ende. Damit gelangt das Geständnis unserer Ohnmacht und Bedrängnis an fremde Mächte. Ein Kaufmann unterwirft sich dann einem andern mit gebundenen Händen und Füßen, und Menschenfreundlichkeit gehört nicht zu den an der Börse geübten Tugenden.
Von Zweifeln geplagt, zauderte der einst so zuversichtliche Cäsar, Claparons Haus zu betreten. Er begriff endlich, daß bei Geldleuten das Herz nichts weiter als ein Muskel ist. Er kannte Claparons brutales Wesen und seine schlechten Manieren und so zitterte er vor der Berührung mit ihm. Dann aber sagte er sich wieder: Dieser Claparon ist ein Kind des Volkes. Er muß doch Gefühl haben!
Birotteau schöpfte das letzte bißchen Mut aus der Tiefe seiner Seele und stieg die Treppe zu dem elendiglichen Zwischenstock hinauf, in dem Claparon wohnte. An den kleinen Fenstern hatte er von der Straße aus verschossene grüne Vorhänge bemerkt. An der Tür las er auf einem Kupferschild schwarz graviert das Wort »Bureau«. Er klopfte an. Da niemand kam, trat er ein.
Die mehr als bescheidene Behausung roch nach Armseligkeit, Geiz und Unsauberkeit. Birotteau sah sich einer nicht angestrichenen Holztafel gegenüber, auf der bis zur Brusthöhe ein Messinggitter hinlief, das zwei Schreibpulte aus dunklem Holz einfriedigte. Auf den Pulten lagen Tintenfässer mit verschimmelter Tinte, unbrauchbare Federn und allerlei wahrscheinlich zweckloses Papier umher. Der Fußboden war abgetreten, schmutzig und feucht. Personal gab es offenbar nicht.
Das zweite Zimmer, an dessen Tür das Wort »Kasse« prangte, machte den nämlichen Eindruck wie das erste. In der einen Ecke war ein Holzverschlag mit einem Messinggitter und einem Schalter. In einer andern Ecke stand ein Riesenkoffer, der zweifellos Ratten und Mäusen zum Tanzplan diente. In dem Verschlag war ein phantastisches Schreibpult zu erblicken und ein ordinärer Sessel mit löcherigem grünen Polstersitze, aus dem das Roßhaar in Korkzieherlocken heraushing. Mitten in diesem Zimmer, das augenscheinlich einstmals der Salon der Wohnung gewesen war, ehe sie in ein Bankbureau verwandelt wurde, stand ein runder Tisch mit grünem Tuch beschlagen und um ihn herum vier alte Stühle mit schwarzen Lederpolstern und ehedem vergoldeten Nägeln. Der von Fliegen geschändete Spiegel sah sehr dürftig aus und paßte zu der Standuhr in einem Mahagonigehäuse, die offenbar aus dem Nachlaß eines alten Notars erstanden war. Zwei verstaubte Leuchter ohne Kerzen stimmten den
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