Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
in Miete erhalten‹, wodurch mein Vorrecht gesichert wäre.«
»Meine Stellung verbietet mir, irgend etwas zu tun, was meine Gläubiger schädigen könnte«, sagte der Parfümhändler, den der Blick in den Abgrund, der sich vor ihm auftat, ganz stumpf gemacht hatte.
»Schön, Herr Birotteau, sehr schön; ich dachte, ich wüßte in Mietsachen mit allem, was die Herren Mieter betrifft, Bescheid. Aber jetzt habe ich von Ihnen gelernt, daß man niemals Wechsel in Zahlung nehmen soll. Aber ich werde klagen, denn Ihre Antwort beweist zur Genüge, daß Ihre Unterschrift für Sie keine Bedeutung mehr hat. Dieser Fall ist von Interesse für alle Hausbesitzer in Paris.«
Als er wegging, war Birotteau des Lebens überdrüssig. Es liegt in der Natur solcher zarten, weichen Seelen, daß sie sich von der ersten Abweisung abschrecken lassen, ebenso wie der erste Erfolg ihnen Mut macht. Cäsar setzte seine Hoffnung nur noch auf den kleinen Popinot, an den er natürlich denken mußte, als er sich an dem Marge des Inzests befand.
»Der arme Junge! Wer hätte mir das gesagt, als ich ihm vor sechs Wochen in den Tuilerien den neuen Weg eröffnete!«
Es war ungefähr vier Uhr, die Zeit, wo die Richter den Justizpalast verlassen. Zufällig war der Untersuchungsrichter zu seinem Neffen gegangen. Dieser Richter, einer der scharfsinnigsten Psychologen, besaß eine Art zweiten Gesichts, das ihm gestattete, die verborgensten Absichten wahrzunehmen, den Grund der verschiedensten menschlichen Handlungen, den Keim eines Verbrechens, die Wurzel eines Delikts zu erkennen; er betrachtete Birotteau, ohne daß dieser es merkte. Der Parfümhändler, dem es unangenehm war, den Onkel bei dem Neffen vorzufinden, erschien ihm ängstlich, besorgt, nachdenklich. Der kleine Popinot, immer stark beschäftigt, die Feder hinter dem Ohr, war, wie stets, ganz Hingebung gegen den Vater seiner Cäsarine. Hinter den alltäglichen Redensarten, die Cäsar seinem Sozius gegenüber machte, schien sich dem Richter ein wichtiges Anliegen zu verstecken. Anstatt wegzugehen, blieb der schlaue Beamte bei seinem Neffen, trotz dessen Wunsch, ihn loszuwerden, zurück, denn er hatte sich gedacht, daß der Parfümhändler versuchen würde, sich seiner zu entledigen, indem er selber aufbrach. Als Birotteau fort war, ging auch der Richter, aber er sah, wie Birotteau in dem Teil der Rue des Cinq-Diamants, der zu der Rue Aubry-le-Boucher führt, auf und ab ging. Dieser unerhebliche Umstand erregte bei dem alten Popinot Verdacht über Cäsars Absichten; er verließ daher die Rue des Lombards, und als er sah, wie der Parfümhändler wieder zu Anselm hineinging, kehrte auch er schnell dorthin zurück.
»Mein lieber Popinot,« hatte Cäsar zu seinem Sozius gesagt, »ich komme, dich um einen Dienst zu bitten.«
»Was darf ich für Sie tun?« sagte Popinot mit hingebendem Eifer.
»Ach, du gibst mir das Leben wieder«, rief der arme Mann aus, beglückt durch diese Herzenswärme, die ihm mitten in der eisigen Atmosphäre, in der er sich seit drei Wochen bewegte, entgegenstrahlte.
»Du sollst mir fünfzigtausend Franken auf meinen Gewinnanteil vorschießen, über die Zahlung werden wir uns verständigen.«
Popinot sah Cäsar starr an, dieser schlug die Augen nieder. In diesem Augenblick erschien der Richter wieder.
»Mein Kind ... Ah, Verzeihung, Herr Birotteau! Mein Kind, ich habe vergessen, dir etwas zu sagen ...« Und mit dem befehlenden Wink des Beamten zog der Richter seinen Neffen mit auf die Straße hinaus und nötigte ihn, der nur im Rock und ohne Hut war, ihn anzuhören, während sie nach der Rue des Lombards hin gingen. »Mein lieber Neffe, dein früherer Prinzipal kann mit seinen Geschäftsangelegenheiten sich vielleicht bald in einer derartig schlimmen Lage befinden, daß er genötigt sein würde, Konkurs anzumelden. Bevor sie sich aber dazu entschließen, machen es selbst Leute, die vierzig Jahre ehrenhaften Lebens hinter sich haben, die Muster von Ehrlichkeit sind, um der Erhaltung ihrer Ehre willen wie die wildesten Spieler; sie sind zu allem fähig; sie verkaufen ihre Frau, sie verhandeln ihre Töchter, sie betrügen ihre Freunde, sie versetzen fremdes Eigentum; sie gehen spielen, sie werden zu Komödianten und Lügnern; sie verstehen, einem etwas vorzuweinen. Ich habe da die unglaublichsten Sachen erlebt. Du bist selbst Zeuge gewesen, wie harmlos sich Roguin zu geben verstand, dem man das Abendmahl ohne Beichte gereicht hätte. Ich will solche scharfen Schlüsse
Weitere Kostenlose Bücher