Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
daß Frau Madous Zorn verrauchte.
»Mein Vermögen ist mir von einem Notar unterschlagen worden, ich bin unschuldig an dem Unglück, das ich verursache«, fuhr Cäsar fort; »aber mit der Zeit werden Sie Ihr Geld zurückbekommen, und sollte ich mich tot arbeiten und Tagelöhner oder Lastträger in der Markthalle werden.«
»Na, na, Sie sind ein braver Mann«, sagte die Madou. »Nehmen Sie mir nich übel, Madam, was ich gesagt hab; aber ich muß ja ins Wasser gehn, Gigonnet läßt mich nich locker, und ich kann für Ihre verdammten Wechsel nur andre geben, die erst in zehn Monaten fällig sind.«
»Kommen Sie morgen früh zu mir,« sagte Pillerault, der sich jetzt zeigte, »ich werde Ihre Sache von einem meiner Freunde mit fünf Prozent ordnen lassen.«
»Ei, das is ja der brave Vater Pillerault! Ach ja, das is ja Ihr Onkel«, sagte sie zu Konstanze. »Ach, ihr seid wirklich anständige Leute, da wer ich nischt verlieren, nich wahr? Also auf morgen, mein Alter!« sagte sie zu dem früheren Eisenhändler.
Cäsar wollte durchaus in den Räumen seiner zertrümmerten Existenz ausharren und erklärte, er wolle sich hier mit allen seinen Gläubigern auseinandersetzen. Trotz der Bitten seiner Nichte stimmte der Onkel Pillerault bei und ließ ihn hinaufgehen. Dann eilte der schlaue Alte zu Herrn Haudry, stellte ihm Birotteaus Lage vor und erhielt von ihm das Rezept für einen Schlaftrunk; diesen ließ er herstellen und kehrte dann zurück, um den Abend bei seinem Neffen zu verbringen. Im Einverständnis mit Cäsarine nötigte er Cäsar, mit ihnen zu trinken. Das Narkotikum schläferte diesen so ein, daß er vierzehn Stunden später im Zimmer des Onkels Pillerault in der Rue des Bourdonnais erwachte, von dem Alten eingeschlossen, der selber auf einem im Salon aufgestellten eisernen Bett geschlafen hatte. Als Konstanze den Wagen, in dem Pillerault Cäsar wegbrachte, fortfahren hörte, ließ sie ihre Tapferkeit im Stiche. Gar oft werden unsre Kräfte von der Notwendigkeit aufgestachelt, ein schwächeres Wesen als wir aufrecht erhalten zu müssen. Jetzt weinte die arme Frau, die sich allein mit ihrer Tochter zurückgeblieben sah, als ob Cäsar gestorben wäre.
»Mama,« sagte Cäsarine, die sich auf die Knie der Mutter setzte und sie, wie es die Frauen nur unter sich zu machen verstehen, wie ein Schmeichelkätzchen liebkoste, »du hast mir doch gesagt, daß, wenn ich einen tapferen Entschluß fassen wollte, auch du die Kraft finden würdest, dem Unglück zu widerstehen. Also weine nicht mehr, liebste Mutter. Ich bin bereit, eine Anstellung in einem Geschäft anzunehmen, und ich werde nicht mehr daran denken, was wir gewesen sind. Ich will das werden, was du in deiner Jugend warst, eine erste Verkäuferin, und du sollst von mir kein Wort der Klage oder des Bedauerns zu hören bekommen. Und dann habe ich ja noch eine Hoffnung. Hast du nicht gehört, was Herr Popinot gesagt hat?«
»Der liebe Junge; er wird nicht mein Schwiegersohn sein ...«
»Aber, Mama! ...«
»Sondern in Wahrheit mein Sohn.«
»Das Unglück«, sagte Cäsarine und umarmte die Mutter, »hat wenigstens das Gute, daß es uns unsere wahren Freunde kennen lehrt.«
Es gelang Cäsarine schließlich, den Kummer der armen Frau zu besänftigen, indem sie sie, wie eine Mutter ihr Kind, beruhigte. Am nächsten Morgen begab sich Konstanze zu dem Herzog von Lenoncourt, einem der ersten Kammerherren des Königs, und hinterließ einen Brief für ihn, in dem sie bat, ihr eine Audienz zu einer bestimmten Stunde an diesem Tage zu gewähren. Inzwischen ging sie zu Herrn von La Billardière, erklärte ihm, in welche Lage die Flucht des Notars Cäsar versetzt hatte, und bat ihn, sie bei dem Herzog zu unterstützen und ihr Fürsprecher zu sein, da sie fürchtete, sich nicht angemessen ausdrücken zu können. Sie wollte eine Anstellung für Birotteau erbitten. Birotteau würde sicher der ehrlichste aller Kassierer sein, wenn es bezüglich der Ehrlichkeit überhaupt Unterschiede gäbe.
»Der König hat soeben den Grafen von Fontaine zum Generaldirektor im Hausministerium ernannt, wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Um zwei Uhr stiegen La Billardière und Frau Konstanze die große Treppe des Palais Lenoncourt in der Rue Saint-Dominique hinauf und wurden zu dem bevorzugtesten Edelmann des Königs geführt, sofern der König Ludwig XVIII. überhaupt jemanden bevorzugte. Die freundliche Aufnahme durch diesen Grandseigneur, der zu der kleinen Anzahl wahrer Edelleute gehörte, die
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