Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
immer noch auf den fatalen Brief hinschielte. »Ich habe Cölestin eine Beihilfe gewährt, um ihm den Ankauf Ihres Geschäftes zu erleichtern, aber ich habe eine Bedingung daran geknüpft. Ihre Wohnung ist noch in dem Zustande, in dem Sie sie verlassen haben. Ich hatte da einen Plan, aber ich ahnte nicht, daß uns der Zufall dabei so zu Hilfe kommen würde. Cölestin hat sich verpflichtet, Ihnen Ihre alte Wohnung, in die er keinen Fuß gesetzt hat und deren gesamtes Mobiliar Ihnen gehört, unterzuvermieten. Mir habe ich den zweiten Stock reserviert, um dort mit Cäsarine zu wohnen, die Sie niemals verlassen soll. Nach unserer Hochzeit werde ich hier von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends arbeiten. Um Ihnen wieder ein Vermögen zu schaffen, werde ich Herrn Cäsars Anteil für hunderttausend Franken erwerben, und Sie werden so mit seinem Gehalt ein Einkommen von zehntausend Franken haben. Können Sie nun nicht zufrieden sein?«
»Sagen Sie mir nichts mehr, Anselm, oder ich werde wahnsinnig.«
Der engelreine Ausdruck Frau Konstanzes, ihr klares Auge, die Unschuld, die auf ihrer schönen Stirn thronte, widerlegten so deutlich die tausend Gedanken, die sich im Gehirn des Liebenden kreuzten, daß er seinem schrecklichen Verdacht ein Ende zu machen beschloß. Ein Fehltritt war mit der Lebensführung und den Grundsätzen von Pilleraults Nichte unvereinbar.
»Teure, angebetete Mutter,« sagte Anselm, »gegen meinen Willen wird meine Seele von einem schrecklichen Verdacht gepeinigt. Wenn Sie mich glücklich machen wollen, so werden Sie ihn sofort zerstreuen.« Dabei hatte Popinot die Hand ausgestreckt und sich des Briefes bemächtigt.
»Ohne es zu wollen,« fuhr er fort, erschreckt von dem Entsetzen, das sich auf Konstanzes Gesicht malte, »habe ich die ersten Worte von du Tillets Brief gelesen. Diese Worte passen so seltsam zu dem Eindruck, unter dem dieser Mann meine tolle Forderung sofort bewilligt hat, daß jeder zu der Auslegung kommen würde, die mir ein böser Geist gegen meinen Willen einflüsterte. Ihr Blick und zwei Worte haben genügt ...«
»Nicht weiter«, sagte Frau Konstanze, nahm den Brief und verbrannte ihn vor Anselms Augen. »Liebes Kind, ich bin für ein geringes Versehen grausam bestraft worden. Aber Sie sollen alles wissen, Anselm. Ich will nicht, daß der Verdacht, den die Mutter erregt hat, der Tochter schaden könne, und ich kann darüber reden, ohne erröten zu müssen; ich würde auch meinem Manne sagen, was ich Ihnen gestehen will. Du Tillet hat mich verführen wollen, ich habe es sofort meinem Manne mitgeteilt und du Tillet wurde entlassen. Am Tage, an dem ihn mein Mann verabschieden wollte, hat er uns dreitausend Franken gestohlen!«
»Das kann ich mir denken«, sagte Popinot mit einer Betonung, in der sein ganzer Haß zum Ausdruck kam.
»Anselm, Ihre Zukunft, Ihr Glück verlangten dieses Geständnis; aber es muß in Ihrem Herzen begraben sein, wie es in meinem und Cäsars begraben war. Sie werden sich noch an das ›Zanken‹ meines Mannes wegen des Kassenirrtums erinnern. Um einen Prozeß zu vermeiden und diesen Mann nicht unglücklich zu machen, hat Birotteau zweifellos die dreitausend Franken wieder in die Kasse getan, das Geld für diesen Kaschmirschal, den ich deshalb erst drei Jahre später bekommen habe. Daher mein Ausruf. Ach, liebes Kind, ich will Ihnen auch noch mein kindisches Benehmen erklären; du Tillet hatte mir drei Liebesbriefe geschrieben, die ihn so treffend kennzeichneten,« seufzte sie und schlug die Augen nieder, »daß ich sie ... als eine Seltenheit aufbewahrt habe. Ich habe sie nur einmal gelesen. Aber immerhin war es unklug, sie aufzuheben. Als ich nun du Tillet jetzt wiedersah, mußte ich an sie denken; ich ging hinauf, um sie zu verbrennen, und betrachtete den letzten, als Sie hereintraten ... das ist alles, mein Lieber.«
Anselm kniete vor ihr nieder und küßte ihre Hand mit einem solchen Ausdruck von Verehrung, daß beiden die Tränen in die Augen traten. Sie hob ihn auf, breitete ihre Arme aus und drückte ihn an ihr Herz.
Dieser Tag sollte ein Freudentag für Cäsar werden. Der Geheimsekretär des Königs, Herr von Vandenesse, suchte ihn im Bureau auf, um mit ihm zu reden. Sie gingen zusammen in den kleinen Hof der Schuldentilgungskasse.
»Herr Birotteau,« sagte der Vicomte von Vandenesse, »Ihre Bemühungen, Ihre Gläubiger zu bezahlen, sind durch einen Zufall zur Kenntnis des Königs gelangt. Seine Majestät, erfreut über eine so seltene
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