Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
Was hast du eben für eine Dummheit gesagt? Du würdest deine Gläubiger betrügen, wenn du sie vollständig bezahltest?«
Cäsar sah Pillerault prüfend an, und Pillerault war gerührt, da er zum erstenmal seit drei Jahren ein volles Lächeln das bekümmerte Antlitz seines armen Neffen beleben sah.
»Es ist wahr,« sagte er, »sie würden bezahlt sein. Aber das heißt doch, meine Tochter verkaufen!«
»Und ich will auch erkauft sein«, rief Cäsarine, die mit Popinot hereingetreten war.
Die beiden Liebenden hatten die letzten Worte des Gesprächs mit angehört, als sie leise, gefolgt von Frau Birotteau, durch das Vorzimmer der kleinen Wohnung des Onkels gekommen waren. Alle drei waren bei den noch zu bezahlenden Gläubigern herumgefahren, um sie auf den Abend zu Alexander Crottat zu bestellen, wo die Quittungen vorbereitet waren. Die kraftvolle Logik des verliebten Popinot siegte über Cäsars Skrupel, der sich immer noch als Schuldner bezeichnete und behauptete, mit solchen neuen Geschichten würde das Gesetz umgangen. Und er ließ seine Gewissensbedenken erst fahren, als Popinot ausrief: »Sie wollen also Ihre Tochter töten?«
»Ich, meine Tochter töten?!« sagte Cäsar perplex. »Ich bin doch berechtigt,« sagte Popinot, »eine Schenkung unter Lebenden an Sie in der Höhe des Betrages zu machen, den Sie nach meiner ehrlichen Überzeugung bei mir gut haben. Würden Sie mir das ablehnen?«
»Nein«, sagte Cäsar.
»Also dann gehen wir heute abend zu Alexander Crottat, und damit das auch gleich erledigt wird, werden wir gleichzeitig unsern Ehekontrakt dort aufsetzen lassen.«
Der Antrag auf Rehabilitation und alle dazu erforderlichen Unterlagen wurden von Derville dem Generalstaatsanwalt beim Obergericht unterbreitet. Während des Monats, den die erforderlichen Formalitäten und das Aufgebot Cäsarines und Anselms in Anspruch nahmen, befand sich Birotteau in fieberhafter Erregung. Er lebte in ewiger Unruhe, er fürchtete, den Tag nicht mehr erleben zu können, an dem das Urteil gesprochen werden würde. Er beklagte sich über Herzklopfen, ohne daß ein Grund dafür vorläge, und über dumpfe Schmerzen in diesem Organ, das von den schmerzlichen Aufregungen und jetzt von dieser überschwenglichen Freude abgenutzt und überanstrengt war. Rehabilitationsurteile sind bei dem Obergericht von Paris eine so seltene Sache, daß alle zehn Jahre kaum eins gefällt wird. Für diejenigen, die die Gesellschaftsordnung ernst nehmen, hat das Gerichtsverfahren eine gewisse Größe und Bedeutung. Die Institutionen hängen völlig von dem Gefühl ab, das die Menschen in bezug auf sie beseelt, und von der Bedeutung, die sie ihnen beilegen. Wenn das Volk daher, wenn schon keine Religion, aber auch keinen Glauben mehr hat, wenn bei der Erziehung von Anfang an jedes erhaltende Band gelöst wird, indem man das Kind daran gewöhnt, alles rücksichtslos zu zerfasern, dann befindet sich eine Nation im Zustande der Auflösung, denn sie hängt nur noch durch die gemeine Fessel der materiellen Interessen zusammen und durch die Vorschriften des Götzendienstes, den der wohlverstandene Egoismus geschaffen hat. Erfüllt von religiösen Anschauungen, nahm Birotteau die Justiz als das, was sie in den Augen aller Menschen sein sollte, als die Verkörperung der Gesellschaft selbst, als den erhabenen Ausdruck des anerkannten Gesetzes, unabhängig von der Form, in der sie auftritt; je älter, gebrechlicher und weißhaariger der Beamter ist, desto feierlicher ist die Ausübung seines erhabenen Amtes, das ein so tiefgehendes Studium der Menschen und der Dinge verlangt, das das Herz schweigen heißt und es verhärtet gegen jede Berücksichtigung irgendwelcher privater Interessen. Sie werden selten, die Menschen, die nicht ohne Erregung die Treppe zum Obergerichtshof im alten Justizpalast hinaufsteigen, aber der ehemalige Kaufmann war einer von diesen Menschen. Wenige haben die majestätische Feierlichkeit dieser Treppe beachtet, die so wirkungsvoll angelegt ist; sie liegt oben in dem äußeren Peristyl, der den Hof ziert, und ihre Tür befindet sich mitten in einer Galerie, die von der riesigen Vorhalle bis zur Sainte-Chapelle führt, den beiden Monumentalbauten, die alles neben sich unbedeutend erscheinen lassen. Die Kirche des heiligen Ludwig ist eine der imposantesten Baulichkeiten von Paris, und ihr Zugang am Ende dieser Galerie hat gewissermaßen etwas Düsteres und Romantisches. Die große Vorhalle dagegen liegt in vollem Lichte da, und es
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