Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
sein Temperament war kühl, Erregungen sah man ihm nicht an; aber deshalb war er doch nicht unempfindlich. Wie sein bedächtiges Wesen und sein ruhiges Gesicht zeigten, gab er seinem Gefühl nicht nach außen hin Ausdruck; er war unerschütterlich und frei von jeder Phrase und Emphase. Seine grünen, schwarz punktierten Augen fielen durch ihre unveränderliche Leuchtkraft auf. Seine von geradlinigen Runzeln durchfurchte und vom Alter gelb gewordene Stirn war klein, schmal und hart, und sein kurzes, pelzartiges Haar silbergrau. Der feingeschnittene Mund verriet kluge Vorsicht, aber keine Habsucht. Sein lebhafter Blick zeugte von regelmäßiger Lebensweise. Ehrenhaftigkeit, Pflichtgefühl und echte Bescheidenheit ließen sein Gesicht im Glanze der Gesundheit leuchten. Sechzig Jahre lang hatte er das harte, nüchterne Leben eines unermüdlichen Arbeiters geführt. Es glich dem Cäsars, abgesehen von dessen Geschäftsglück. Bis zu seinem dreißigsten Jahre Angestellter, hatte er sein ganzes Vermögen noch in seinem Geschäfte stecken, als Cäsar schon seine Ersparnisse in Renten anlegen konnte; und schließlich hatte ihn das Härteste betroffen, daß seine Hacken und Eisenwaren requiriert wurden. Sein verständiger und zurückhaltender Charakter, seine Vorsicht und seine rechnende Überlegung bestimmten sein geschäftliches Gebaren. Seine meisten Geschäfte wurden mündlich abgeschlossen und er hatte dabei selten Differenzen gehabt. Wie alle nachdenklichen Leute war er ein scharfer Beobachter und studierte die Menschen, indem er sie reden ließ; dann lehnte er es meist ab, sich, wie seine Nachbarn, an scheinbar vorteilhaften Geschäften zu beteiligen; wenn es denen nachher leid tat, sagten sie, daß Pillerault eine feine Witterung für Betrüger habe. Er hielt sich lieber an den kleinen, aber sicheren Gewinn, als daß er große Beträge bei waghalsigen Geschäften aufs Spiel gesetzt hätte. Er handelte mit Kaminplatten, Rosten, schweren Feuerböcken, kupfernen und eisernen Kesseln, Hacken und landwirtschaftlichen Geräten. Diese wenig einträgliche Ware erforderte eine sehr anstrengende mechanische Arbeit. Der Gewinn stand in keinem Verhältnis zu der Anstrengung, es war nur wenig Nutzen bei diesem schweren Material, mit dem man so mühsam hantieren mußte, und das sich so schwer unterbringen ließ. Wieviel Kisten hatte er zunageln, wieviel ein- und auspacken, wieviel Wagensendungen abnehmen müssen! Kein Vermögen war so anständig, so rechtmäßig, so ehrenhaft erworben worden wie das seinige. Niemals hatte er zu hohe Preise gefordert, niemals sich zu Geschäften gedrängt. Zuletzt sah man ihn vor seiner Ladentür, wie er seine Pfeife rauchte, die Vorübergehenden beobachtete und der Arbeit seiner Kommis zusah. Als er sich im Jahre 1814 zurückzog, bestand sein Vermögen erstens aus sechsundsechzigtausend Franken, die ins Staatsschuldbuch eingetragen waren und ihm fünftausend und einige hundert Franken Rente brachten; dann aus vierzigtausend Franken, die, ohne Zinsen zu bringen, in fünf Jahren zahlbar waren, dem Preise für sein Geschäft, das er an einen seiner Kommis verkauft hatte. Dreißig Jahre hindurch hatte er bei einem Jahresumsatze von hunderttausend Franken sieben Prozent daran verdient und die Hälfte des Gewinns für seinen Lebensunterhalt verbraucht. So war sein Vermögensstand. Seine Nachbarn, die ihn um dieses mäßige Vermögen nicht sehr beneideten, rühmten seine Einsicht, ohne Verständnis dafür zu haben. An der Ecke der Rue de la Monnaie und der Rue Saint-Honoré befindet sich das Café David, wo mehrere alte Kaufleute ebenso wie Pillerault abends ihren Kaffee tranken. Hier war bisweilen die Adoption des Sohnes seiner Köchin der Gegenstand mancher Neckereien gewesen, aber nur solcher, wie man sie sich gegen eine geachtete Persönlichkeit erlaubt, denn der Eisenwarenhändler genoß eine respektvolle Achtung, ohne eine solche jemals erstrebt zu haben, da ihm seine Selbstachtung genügte. Als Pillerault daher jenen jungen Menschen verlor, gaben ihm mehr als zweihundert Personen das Geleite bis auf den Kirchhof. In dieser Zeit zeigte er sich heroisch. Sein beherrschter Schmerz, wie er für alle starken Männer, die ihn nicht zur Schau tragen, charakteristisch ist, vermehrte noch die Sympathie des Viertels für diesen ›braven Mann‹, wie Pillerault mit besonderer Betonung dieses Wortes, die seine Bedeutung unterstrich und erhöhte, genannt wurde. Claude Pilleraults zur Lebensgewohnheit gewordene
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