Cäsar Cascabel
gute Laune wiedererlangt hatte.
Am nächsten Morgen machten Herr Sergius und er sich auf die Suche nach den beiden Matrosen. Letztere genossen vermutlich derselben Freiheit, welche man den neuen Ankömmlingen ließ. Sie waren in der That nicht eingekerkert und die Begegnung fand vor dem Eingang des von ihnen bewohnten Gelasses am äußersten Ende des Dorfes statt, ohne den geringsten Widerstand seitens der Eingeborenen hervorzurufen.
Diese Matrosen, von denen der eine fünfunddreißig, der andere vierzig Jahre zählte, waren moskowitischen Ursprungs. Ihre zerfetzten Pelzhüllen und Seemannskleider, ihre durch Hunger und Kälte verzerrten, hohläugigen Gesichter und langen, wirren Haare und Bärte gaben ihnen ein sehr elendes Aussehen. Trotzdem waren es gesunde, kräftig gebaute Männer, die gelegentlich tüchtige Dienste zu leisten vermocht hätten. Indessen schienen sie nicht sehr geneigt, mit den Fremden, deren Ankunft auf der Kotelnii-Insel sie bereits erfahren hatten, in Verbindung zu treten. Und doch hätte die Gleichheit ihrer Lage, der gemeinsame Wunsch, sich mit vereinten Kräften daraus zu befreien, sie der Familie Cascabel näher bringen müssen.
Herr Sergius redete die beiden Männer auf russisch an. Der ältere erklärte Ortik zu heißen, der jüngere Kirschef. Nach einigem Zaudern ließen sie sich herbei, ihre Geschichte zu erzählen.
»Wir sind Matrosen aus der Hafenstadt Riga,« sagte Ortik. »Vor einem Jahre schifften wir uns an Bord des Walfischfahrers »Seraski« ein, um dem Fange im nördlichen Eismeer obzuliegen. Zum Unglück vermochte unser Schiff zu Ende der günstigen Jahreszeit die Beringstraße nicht rechtzeitig zu erreichen, sondern blieb im Eise stecken, welches es nördlich von den Liakhoff-Inseln zertrümmerte. Die ganze Mannschaft, mit Ausnahme von Kirschef und mir, ging zu Grunde. Wir waren in ein Boot gesprungen und der Sturm schleuderte uns auf die neusibirischen Inseln, wo wir in die Gewalt der Eingeborenen gerieten.«
»Um welche Zeit?« fragte Herr Sergius.
»Vor zwei Monaten!«
»Und was für einen Empfang hat man Ihnen bereitet?«…
»Zweifellos einen ähnlichen wie Ihnen,« antwortete Ortik. »Wir sind die Gefangenen Tschu-Tschuks und er will uns nur gegen ein Lösegeld entlassen…«
»Und woher sollen wir eines nehmen?« warf Kirschef ein.
Ortik fügte in ziemlich rauhem Tone hinzu:
»Wenn Sie nicht etwa Geld haben… für sich und für uns… denn wir sind Landsleute, wenn ich nicht irre?…«
»Das sind wir,« antwortete Herr Sergius. »Aber das Geld, das wir besaßen, ist von den Eingeborenen gestohlen worden, und wir sind so völlig von Hilfsmitteln entblößt, wie Sie es nur immer sein können!«
»Um so schlimmer!« versetzte Ortik.
Darauf schilderten die beiden ihre Lebensweise. Jene enge, dunkle Höhle diente ihnen zur Wohnung und man ließ ihnen eine gewisse Freiheit, bewachte sie aber doch. Ihre Kleidung war zersetzt und sie hatten keine andere Nahrung als die gewöhnliche Nahrung der Eingeborenen, die ihnen kaum genügte. Im übrigen glaubten sie, daß die Überwachung beim Anbruch der milderen Jahreszeit, wo ein Entweichen möglich wäre, viel schärfer werden würde.
»Da man sich dann bloß eines Fischerkanoes zu bemächtigen braucht, um das Festland zu gewinnen. so werden die Eingeborenen sicher mißtrauischer werden und uns vielleicht gar einsperren…«
»Aber die mildere Jahreszeit,« antwortete Herr Sergius, »die bricht erst in vier bis fünf Monaten an; wenn wir bis dahin gefangen bleiben…«
»Also haben Sie ein Mittel zu entkommen?…« fragte Ortik lebhaft.
»Augenblicklich noch nicht,« antwortete Herr Sergius. »Inzwischen ist es ganz natürlich. daß wir einander zu helfen suchen. Sie scheinen viel gelitten zu haben, meine Freunde, und wenn wir Ihnen nützlich sein können…«
Die beiden Matrosen dankten Herrn Sergius mit einer gewissen Zurückhaltung. Wenn er ihnen von Zeit zu Zeit etwas bessere Nahrung zukommen lassen wolle, so würden sie ihm erkenntlich sein. Sonst verlangten sie nichts, wenn man ihnen nicht etwa einige Decken schenken wolle. Aber mit den Neuangekommenen beisammen wohnen, nein! Sie zogen es vor, in ihrem Loche zu bleiben. Indessen versprachen sie, die Familie zu besuchen.
Herr Sergius und Herr Cascabel, der hin und wieder etwas von dem Gespräche verstanden hatte, verabschiedeten sich von den beiden Matrosen. Wenngleich die Physiognomie dieser Leute keine sehr sympathische war, so war das kein Grund, ihnen
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