Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cäsar Cascabel

Cäsar Cascabel

Titel: Cäsar Cascabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
und Pfeile sind alles, was ihr offensives und defensives Arsenal aufzuweisen hat. Von Fischereigeräten besitzen sie Harpunen, mit welchen sie die Walfische angreifen und Netze, die sie unter den »Grundis«, einer Art Grundeis, wo die Seehunde sich fangen lassen, aufspannen. Sie benützen auch Lanzen und Messer in ihren Kämpfen mit den Walrossen – nicht ganz ungefährlichen Kämpfen, denn diese Säugetiere sind furchtbare Gegner.
     

    Diese Einheimischen gaben Proben ihrer Tapferkeit. (Seite 236.)
     
    Aber das Wild, dessen Nähe oder Angriff sie am meisten zu fürchten haben, ist der Eisbär, den die intensive Winterkälte und die Notwendigkeit, sich nach tagelangem Fasten ein wenig Nahrung zu verschaffen, manchmal bis in die Dörfer der Inselgruppe treibt. Man muß gestehen, daß die Eingeborenen sich bei solchen Anlässen tapfer zeigen; sie fliehen nicht vor dem gewaltigen Tiere, dessen unfreiwillige Enthaltsamkeit es nur noch grimmiger macht; sie werfen sich ihm entschlossen, mit dem Messer in der Hand, entgegen und der Kampf endigt meistens zu ihren Gunsten.
    In der That waren die Cascabels mehrmals Zeugen eines derartigen Angriffes, bei welchem der Polarbär, nachdem er mehrere Männer schwer verwundet hatte, der Übermacht unterlag. Da eilte dann der ganze Stamm zusammen und das Dorf feierte ein Freudenfest. Welch ein Leckerbissen das Bärenfleisch für sibirische Magen zu sein schien! Die besten Stücke wanderten nach Gebühr auf den Tisch oder vielmehr in den Napf Tschu-Tschuks. Was seine ergebenen Unterthanen betrifft, so bekam jeder einen kleinen Teil von dem, was er ihnen zu überlassen geruhte. Das war eine gute Gelegenheit zu langmächtigen Trankopfern und der daraus entstehenden allgemeinen Trunkenheit – eine Trunkenheit, an welcher ein Getränk die Schuld trug, das man aus jungen Salix-und Rhodiolatrieben, Preißelbeeren und den in den wenigen Sommerwochen reichlich eingeernteten gelben Sumpfbeeren braute.
    Eigentlich sind die Bären auf diesen Inselgruppen selten und so kann man nicht auf dieses Wild rechnen, dessen Erlegung überdies immer mit großer Gefahr verbunden ist. Darum bildet denn auch das Renntierfleisch den Hauptbestandteil der einheimischen Nahrung, und die Frauen bereiten aus dem Blute dieser Tiere eine Suppe, welche die Cascabels stets mit größtem Widerwillen erfüllte.
    Fragt man, wie die Renntiere während des Winters zu leben vermögen, so erhält man die einfache Antwort, daß es ihnen keine Verlegenheit bereitet, ihre vegetabilische Nahrung selbst unter einer dicken Schneedecke zu suchen.
    Überdies werden ungeheure Futtervorräte vor dem Eintritte der Kälte eingeheimst, und das genügt, um die Tausende von Wiederkäuern zu ernähren, welche die Gebiete Neusibiriens umschließen.
    »Tausende!… Und wenn man bedenkt, daß zwanzig hinreichen würden, um uns aus jeder Verlegenheit zu befreien!« sagte Herr Cascabel wiederholt, indem er nachsann, wie er sein Gespann ersetzen solle.
    Hier ist nochmals zu betonen, daß die Liakhoff-Insulaner nicht nur Götzenanbeter, sondern auch äußerst abergläubisch sind, daß sie alles auf ihre Gottheiten beziehen und ihren mit eigenen Händen angefertigten Götzen blindlings gehorchen. Diese Götzenanbetung übersteigt jeden Begriff, und allen voran gab der große Häuptling Tschu-Tschuk sich seiner Religion mit einem Fanatismus hin, den seine Unterthanen bereitwillig teilten.
    Tag für Tag begab Tschu-Tschuk sich in eine Art Tempel, oder vielmehr an eine heilige Stätte, welche den Namen »Vorspük« (Gebetgrotte) trug. Die einfach durch bemalte Pfosten dargestellten Götzen waren im Hintergrunde einer felsigen Höhle aufgepflanzt, in welcher die Eingeborenen sich der Reihe nach auf den Boden warfen. Sie trieben die Intoleranz nicht so weit, den Fremden den Eintritt ins Vorspük zu wehren; im Gegenteil, sie luden sie dahin ein. So konnten denn Herr Sergius und seine Gefährten ihre Neugierde befriedigen, indem sie den neusibirischen Götzen einen Besuch abstatteten.
    Am oberen Ende dieser Pfosten grinsten abscheuliche Vögelköpfe mit runden, roten Augen, mächtigen, weit aufgesperrten Schnäbeln und knochigen, hornartig gebogenen Kämmen. Die Gläubigen legten sich vor diesen Pfosten auf die Erde, hielten ihr Ohr daran, verrichteten ihre Gebete; und obgleich die Gottheit ihnen niemals geantwortet hatte, gingen sie doch in der Überzeugung fort, ihre Antwort vernommen zu haben – eine Antwort, welche gewöhnlich mit den geheimen

Weitere Kostenlose Bücher