Cäsar Cascabel
Jean. »Man soll sich vor nichts fürchten.«
»Ach!« rief Napoleone achselzuckend, »als ob man etwas dafür könnte!…«
»O!… das feige Ding!« neckte Xander. »Aber, Närrchen, der Donner ist ja nur ein Kegelspiel mit großen Kugeln.«
»Jawohl…. mit Feuerkugeln, die einem zuweilen auf den Kopf fallen!« erwiderte das kleine Mädchen, die Augen vor einem grellen Blitze schließend.
Man beeilte sich, das Lager einzurichten, um sich vor dem Ausbruch des Gewitters in Sicherheit bringen zu können. Dann, nach dem Nachtmahl, beschloß man, daß die Männer, wie in den vorhergehenden Nächten, abwechselnd wachen sollten.
Herr Sergius wollte sich eben erbieten, den Anfang zu machen, als Ortik ihm mit den Worten zuvorkam:
»Wollen Sie, daß Kirschef und ich zuerst Wache halten?…«
»Wie Sie wollen,« antwortete Herr Sergius. »Um Mitternacht werden Jean und ich Sie ablösen.«
»Abgemacht, Herr Sergius,« versetzte Ortik.
Dieser doch eigentlich sehr natürliche Vorschlag schien Kayetten verdächtig; ohne sich ganz klar darüber zu sein, hatte sie ein Gefühl, als ob irgend ein geheimer Anschlag dahinter verborgen wäre.
In diesem Augenblick brach das Gewitter mit außerordentlicher Heftigkeit los. Die Blitze warfen grelle Lichter auf die Baumkronen und der Donner rollte durch den Raum, vom Widerhall der Berge geschwellt. Napoleone hatte sich, um Augen und Ohren besser verhüllen zu können, bereits auf ihr Schlaflager gekauert. Jeder suchte eiligst in sein Bett zu gelangen und gegen neun Uhr lagen sämtliche Insassen der Belle-Roulotte trotz des Krachens des Donners und des Pfeifens des Sturmes in tiefem Schlafe.
Nur Kayette schlief nicht. Sie hatte sich nicht entkleidet und vermochte, obgleich sie sehr ermüdet war, keine Sekunde des Schlummers zu finden. Eine tiefe Unruhe bemächtigte sich ihrer, wenn sie daran dachte, daß die Sicherheit ihrer Gefährten der Obhut jener zwei russischen Matrosen anvertraut sei. Um das Thun dieser Leute zu beobachten, zog sie eine Stunde später den Vorhang von dem kleinen Fenster über ihrer Schlafstätte zur Seite und blickte beim Schein der Blitze hinaus.
Ortik und Kirschef, die zusammen geplaudert haben mochten, brachen eben ihr Gespräch ab und schritten auf den Eingang der Schlucht zu, wo in diesem Augenblick ein Mann auftauchte.
Ortik machte diesem Manne sofort ein Zeichen, sich wegen der Hunde nicht weiter vorzuwagen. Wenn Wagram und Marengo sein Nahen nicht gemeldet hatten, so war es, weil sie sich bei der erstickenden Gewitterschwüle unter die Belle-Roulotte verkrochen hatten.
Ortik und Kirschef gingen zu dem Fremden hin, wechselten einige Worte mit ihm, und Kayette sah beim Aufleuchten eines Blitzes, wie sie ihm unter die Bäume folgten.
Jetzt galt es, um jeden Preis zu wissen, wer dieser Mann war und weshalb die beiden Matrosen sich mit ihm in Verbindung gesetzt hatten.
Kayette glitt von ihrem Lager herab, so leise, daß sie niemand weckte. Als sie bei Jean vorüberkam, hörte sie ihren Namen nennen… Hatte Jean sie bemerkt?…
Nein! Jean träumte… und träumte von ihr!
Kayette erreichte die Thür, öffnete sie vorsichtig und schloß sie geräuschlos hinter sich.
»Vorwärts!« murmelte sie, sobald sie draußen war.
Sie zauderte nicht; sie empfand keine Furcht. Und doch stand vielleicht ihr Leben auf dem Spiele, wenn man sie entdeckte!
Kayette glitt in den Wald, der wie im Widerschein eines Brandes aufleuchtete, so oft ein breiter Blitz die Wolken zerriß. Durch Gehölz und hohes Gras kriechend, erreichte sie den Stamm eines großen Lärchenbaumes, wo ein aus geringer Entfernung zu ihr herüber dringendes Stimmengeflüster sie Halt machen ließ.
Sieben Männer waren unter den Bäumen gruppiert, zu denen Ortik und Kirschef sich eben gesellt hatten.
Und nun vernahm Kayette folgendes, von jenen verdächtigen Männern auf Russisch geführte Gespräch:
»Meiner Treu,« sagte Ortik, »ich that sehr wohl daran, den Petschora-Paß zu wählen!… Man ist dort immer gewiß, alte Kameraden anzutreffen, wie, Rostof?«
Rostof war der Mann, den Ortik und Kirschef am Waldrande bemerkt hatten.
»Schon seit zwei Tagen,« antwortete Rostof, »folgen wir diesem Wagen, indem wir uns sorgfältig verborgen halten.
Sieben Männer waren da. (Seite 302.)
Da wir euch beide, Kirschef und dich, erkannt hatten, dachten wir gleich, daß es sich hier um einen guten Fang handle.«
»Einen… und vielleicht auch zwei!« erwiderte Ortik.
»Aber wo kommt ihr
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