Cäsar Cascabel
zu mißtrauen.
Als der Abend kam, wählte Herr Sergius einen Rastplatz am Ufer des Flüßchens. Nach beendigtem Mahle übernahm Herr Cascabel, Kirschef und Clou-de-Girofle die von der Vorsicht gebotene Aufgabe, abwechselnd Wache zu halten. Nach den Anstrengungen des Tages und der Schlaflosigkeit der vorhergehenden Nacht war es einigermaßen verdienstlich von ihnen, nicht auf ihrem Posten einzuschlafen.
Am folgenden Morgen nahmen sie ihren Marsch durch die gleichzeitig steiler und enger werdende Schlucht wieder auf. Dieselben Schwierigkeiten wie am gestrigen Tage, welche dieselben Anstrengungen erheischten. Demzufolge legte man in vierundzwanzig Stunden nur zwei bis drei Meilen zurück. Aber man hatte das für den Uralübergang vorausgesehen und damit gerechnet.
Mehr als einmal waren Herr Sergius und sein Freund Jean versucht, irgend ein schönes Stück Wild durch die Laubgänge zu verfolgen, die aus der Schlucht abzweigten. Im Dickicht sah man ganze Rudel von Elentieren, Damhirschen und Hafen vorüberziehen. Cornelia würde frisches Wildbret nicht verachtet haben.
Der Bär schüttelte zum letztenmal seinen dicken Kopf. (Seite 300.)
Aber wenn es auch nicht an Wild mangelte, so war doch, wie man weiß, die Munition während des Kampfes mit den Wölfen gänzlich erschöpft worden und konnte erst im nächsten Marktflecken erneuert werden. Einstweilen waren die Flinten zum Schweigen verurteilt und Wagram blickte seinen jungen Herrn umsonst so fragend an, als ob er sagen wolle:
»Ei, ei!… man jagt also nicht mehr?«
Und doch ereignete sich ein Zwischenfall, welcher den Gebrauch von Feuerwaffen vollkommen gerechtfertigt haben würde.
Es war drei Uhr nachmittags, die Belle-Roulotte bewegte sich einen felsigen Abhang hinan, als ein Bär auf dem jenseitigen Ufer des Flüßchens erschien.
Es war ein großes Tier, auf welches man durch das bedeutsame Bellen der beiden Hunde aufmerksam wurde. Aufrecht sitzend, wiegte es seinen mächtigen Kopf und schüttelte seinen braunen Pelz, indem es die vorüberziehende Karawane betrachtete.
Verspürte es Luft, dieselbe anzugreifen? War es ein Blick der Neugier oder der Begehrlichkeit, welchen es auf das Gespann und seine Führer warf?
Jean hatte Wagram und Marengo Schweigen auferlegt; da man unbewaffnet war, fand er es überflüssig, dieses furchtbare Tier zu reizen. Warum sollte man Gefahr laufen, seine vielleicht friedfertige Stimmung in eine feindselige zu verwandeln, wo es ihm ein Leichtes sein würde, das diesseitige Flußufer zu erreichen?
So betrachtete man einander dann ruhig, wie Reisende, deren Wege sich kreuzen; und Herr Cascabel beschränkte sich darauf, zu bemerken:
»Wie schade, daß wir diesen prächtigen Meister Petz vom Ural nicht in unsere Gewalt bekommen können! Welch eine Rolle er unter unserem Personal spielen würde!«
Aber es hätte seine Schwierigkeiten gehabt, diesem Bären eine Anstellung bei der Truppe anzubieten. Ohne Zweifel zog er das Waldleben dem Jahrmarktsleben vor; denn er stand auf, schüttelte nochmals seinen dicken Kopf und trabte von dannen.
Da indessen ein Gruß des anderen wert ist, schwenkte Xander höflich den Hut, eine Aufmerksamkeit, welche Jean gern durch einen Flintenschuß ersetzt hätte.
Um sechs Uhr abends machte man ungefähr unter denselben Umständen wie am vorhergehenden Tage Halt. Am nächsten Morgen um fünf Uhr Aufbruch und mühsamer Tagemarsch. Fortwährende Anstrengungen, aber keine Unfälle.
Jetzt war das schwerste gethan, denn die Belle-Roulotte befand sich auf dem höchsten Punkte des Passes. Der Weg senkte sich thalwärts und führte über die westlichen Abhänge hinunter gen Europa.
An jenem Abend – dem sechsten Juli – hielt das sehr ermüdete Gespann am Eingange einer stark gewundenen Schlucht, die zur Rechten von einem dichten Walde begrenzt war
Der Tag war erstickend schwül gewesen. Im Osten hoben sich große Wolken, in ihren unteren Teilen von einem langen Streifen durchschnitten, scharf von dem fahlen Dunstkreis des Horizonts ab.
»Da zieht ein Gewitter herauf,« sagte Jean.
»Das ist ärgerlich,« versetzte Ortik, »denn die Gewitter sind manchmal fürchterlich im Ural.«
»Nun, wir werden uns unter Dach und Fach begeben!« antwortete Herr Cascabel. »Ein Gewitter ist mir immer lieber als ein Rudel Wölfe!«
»Kayette,« fragte Napoleone die junge Indianerin »fürchtest du dich vor dem Donner?«
»Nein, meine Teure,« antwortete Kayette.
»Da hast du recht, kleine Kayette,« sagte
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