Cäsar Cascabel
Abhängen gewisse Vorsichtsmaßregeln ergreifen mußte, so würde die Thalfahrt doch schnell von statten gehen.
Während dieses Tages fand Kayette keine Gelegenheit, insgeheim mit Herrn Cascabel zu reden. Übrigens bemerkte sie, daß die beiden Russen sich nicht mehr abgesondert besprachen oder sich während der Raststunden in verdächtiger Weise entfernten. Wozu hätte das auch jetzt gedient? Ihre Spießgesellen waren ihnen sicherlich vorausgeeilt und die Bande würde erst bei dem Stelldichein in Perm wieder zusammenkommen.
Der folgende Tag war ein günstiger für die Reise. Die Schlucht erweiterte sich und bildete einen bequemeren Durchgang für den Wagen. Man hörte die stark zwischen ihren Ufern eingezwängte Petschora über die Felsen dahinrauschen. Der Engpaß, der bereits einen minder wilden Anblick bot, war nicht mehr so einsam. Man begegnete Händlern, welche aus Europa nach Asien wanderten, das Hausierbündel auf dem Rücken, den eisenbeschlagenen Stock in der Hand. Einige Trupps von Bergleuten, auf dem Wege aus oder nach den Minen begriffen, tauschten einen Gruß mit den Reisenden. Am Ausgang der Hohlwege erschien hie und da ein Gehöfte oder ein noch unbedeutendes Dorf. Im Süden beherrschten der Denejkin und der Kontschakow diesen Teil des Uralgebirges.
Nach einer zur Rast benützten Nacht erreichte die Belle-Roulotte gegen Mittag das äußerste Ende des Petschorapasses. Endlich hatte die kleine Karawane den Höhenzug überstiegen und befand sich in Europa.
Noch dreihundertfünfzig Werst – hundert Meilen – und Perm würde wie Herr Cascabel sich ausdrückte, »ein Haus und eine Familie mehr in seinen Mauern zählen!«
»Uf!…« fügte er hinzu. »Ein hübscher Trab, den wir da zu stande gebracht haben, meine Freunde!… Nun denn, hatte ich nicht rechts… Alle Wege führen nach Rom!… Statt von der einen, sind wir von der anderen Seite nach Rußland gekommen; und was thut das, da Frankreich nicht mehr fern ist!«
Und wäre man ein wenig in ihn gedrungen, so hätte der treffliche Mann behauptet, daß die Luft des Normannenlandes über ganz Europa zu ihm herüberwehe und daß er dieselbe an ihrem Seeduft erkenne!
Am Ausgang des Engpasses befand sich ein Zavody, welches etwa fünfzig Häuser und mehrere Hundert Einwohner umfaßte.
Man beschloß, sich dort bis zum nächsten Tage auszuruhen und gewisse Vorräte zu erneuern – unter anderem Mehl, Thee und Zucker.
Zu gleicher Zeit vermochten Herr Sergius und Jean sich Pulver und Blei zum Ersatze ihrer völlig erschöpften Munition zu verschaffen.
Als sie damit zurückkehrten, rief Herr Sergius:
»Zur Jagd, mein Freund Jean! Wir werden nicht mit leeren Jagdtaschen heimkehren!… zur Jagd!…«
»Wie Sie wünschen,« antwortete Jean, mehr aus Pflicht als Jagdlust.
Der arme Junge! Der Gedanke an die so nahe Trennung verleidete ihm alles.
»Begleiten Sie uns, Ortik?« fragte Herr Sergius.
»Gern,« antwortete der Matrose.
»Suchen Sie mir gutes Wild zu bringen,« empfahl ihnen Frau Cascabel; »dann mache ich mich anheischig, Ihnen ein gutes Mahl zu bereiten.«
Da es erst zwei Uhr nachmittags war, blieb den Jägern Zeit, die umliegenden Wälder zu durchstreifen. Und wenn ihnen das Wild in diesen dichten Gehölzen nicht von selber vor den Schuß lief, so bewies es wenig Zuvorkommenheit.
Während Herr Sergius, Jean und Ortik sich entfernten versorgten Kirschef und Clou die Renntiere. Dieselben wurden unter den Bäumen auf einer kleinen Wiese untergebracht, wo sie nach Herzenslust weiden und wiederkäuen konnten.
Unterdessen wandte Cornelia sich zur Belle-Roulotte, wo es nicht an Arbeit fehlte, zurück, indem sie ihrer Tochter sagte:
»Gehen wir, Napoleone!«
Die Renntiere waren bald unter den Bäumen untergebracht.
»Hier bin ich, Mutter.«
»Und du, Kayette?…«
»Sogleich, Frau Cascabel!«
Aber das war die Gelegenheit, welche Kayette suchte, um mit dem Oberhaupt der Familie unter vier Augen zu reden.
»Herr Cascabel…« sagte sie, auf ihn zugehend.
»Mein Vöglein?«
»Ich möchte mit Ihnen sprechen.«
»Mit mir sprechen?..«
»Insgeheim.«
»Insgeheim?«
Und im Geiste sagte er sich:
»Was will sie von mir, meine kleine Kayette?… Sollte es sich um meinen armen Jean handeln?«
Sie wandten sich dem linken Rande des Zavody zu, während Cornelia in der Belle-Roulotte beschäftigt war.
»Nun, mein teures Kind,« fragte Herr Cascabel, »was willst du von mir und warum thust du so geheimnisvoll?«
»Herr Cascabel,«
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