Cäsar Cascabel
giebt Leute in Perm, welche früher mit dem Grafen Narkine verkehrt und ihn jetzt erkannt haben mögen!… Es muß auffallen, daß sich ein Russe bei unserer Truppe befindet!… Kurz, Cornelia, es ist ja möglich, daß ich übertreibe; aber die Zuneigung, die ich für Herrn Sergius hege, gestattet mir nicht, mich ruhig zu verhalten!… Ich muß gehen und kommen…«
»Cäsar, gieb acht, daß du nicht deinerseits Verdacht erregst!« bemerkte Cornelia sehr richtig. »Und vor allem, kompromittiere dich nicht durch unzeitige und unbesonnene Fragen bei den Leuten! Ich finde mit dir, daß dieses Ausbleiben beängstigend ist, und ich sähe Herrn Sergius gern hier! Aber trotzdem fasse ich die Sache nicht so düster auf und denke mir, daß er einfach beim Fürsten Narkine auf Schloß Walska zurückgehalten worden ist. Jetzt, bei hellem Tage, wagt er nicht heimzukehren, das begreife ich; aber er wird im Laufe der nächsten Nacht hier eintreffen. Also, Cäsar, keine Dummheiten! Kaltblütigkeit. Bedenke, daß du die Rolle des Fracassar spielen sollst, welche einen der größten Erfolge deiner Laufbahn bildet!«
Man konnte nicht vernünftiger reden, als diese so einsichtsvolle Frau, und es ist schwer begreiflich, warum ihr Gatte ihr die Wahrheit vorenthielt. Aber schließlich hatte er vielleicht nicht unrecht. Wer weiß, ob die ungestüme Cornelia sich in Gegenwart von Ortik und Kirschef zu beherrschen gewußt hätte, wenn sie erfahren, wer sie seien und was sie zu thun gedächten!
So schwieg Herr Cascabel denn und verließ die Belle-Roulotte, um die Einrichtung des Cirkus in allen Einzelheiten zu überwachen, während Cornelia, von Kayette und Napoleone unterstützt, die Kostüme, Perücken und das übrige Zubehör musterte, welche bei der Vorstellung benützt werden sollten.
Unterdessen waren die beiden Russen, wenn man ihnen glauben wollte, damit beschäftigt, ihre Stellung als heimgekehrte Matrosen zu ordnen, – was eine Menge Schritte, Gänge und Laufereien erforderlich zu machen schien.
Während Herr Cascabel mit Clou arbeitete, die staubigen Cirkusbänke abreibend und die zur Bühne bestimmte Reitbahn kehrend, schleppten Jean und Xander die verschiedenen, bei den Kraft-und Geschicklichkeitsproben unerläßlichen Gegenstände und Utensilien herbei. Dann hatten sie sich mit dem zu beschäftigen, was der Impresario »seine ganz neuen Dekorationen« nannte, »in denen seine unvergleichlichen Künstler das schöne pantomimische Drama: ›Die Räuber des Schwarzwaldes‹ spielten.«
Jean war trauriger als je. Er wußte nicht, daß Herr Sergius Graf Narkine sei, ein politischer Sträfling, der nicht in seinem Vaterlande bleiben konnte. In seinen Augen war Herr Sergius ein reicher Grundbesitzer, der auf seine Güter zurückkehrte, um sich dort mit seiner Adoptivtochter niederzulassen. Wie viel milder sein Kummer gewesen wäre, wenn er gewußt hätte, daß der Aufenthalt im Russenreiche Herrn Sergius untersagt sei, daß er wieder abreisen werde, sobald er seinen Vater, den Fürsten Narkine gesehen, daß er in Frankreich Schutz suchen werde, und zwar in Begleitung Kayetiens! In diesem Falle würde die Trennung wieder um einige Wochen hinausgeschoben werden, und während dieser Wochen durfte man noch bei einander sein.
»Ja!« sagte Jean sich immer wieder »Herr Sergius wird in Perm bleiben… und Kayette mit ihm!… Binnen einigen Tagen setzen wir unsern Weg fort… und ich werde sie nicht mehr sehen!… Teure kleine Kayette, du wirst im Hause des Herrn Sergius glücklich sein… und doch!…«
Dem armen Jungen brach fast das Herz, wenn er an all diese Dinge dachte.
Indessen war Herr Sergius um neun Uhr morgens noch nicht in die Belle-Roulotte zurückgekehrt. Freilich aber konnte man, wie Cornelia bemerkt hatte, ihn jetzt erst in der folgenden Nacht oder doch wenigstens zu so später Abendstunde erwarten, daß er keine Gefahr liefe, unterwegs erkannt zu werden.
»Dann,« dachte Herr Cascabel, »wird er nicht einmal bei unserer Vorstellung zugegen sein können!… Nun, um so besser!… Es wird mir nicht leid sein!… Sie wird ohnedies schön ausfallen, diese Vorstellung… das Debut der Familie Cascabel auf der Permer Bühne!… Über all diesem Verdruß werde ich meine Mittel einbüßen!… Ich werde grauenhaft sein in der Rolle des Fracassar, ich, der ich die Haut dieses Braven so gut ausfüllte!… Und Cornelia, die trotz all ihrem Gerede auf Kohlen stehen wird!… Und Jean, der nur an seine kleine Kayette denkt!… Und
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