Cäsar Cascabel
der Seinigen eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigt. Sogar die Tiere schienen davon angesteckt zu sein. Jako plapperte weniger als sonst. Die Hunde zogen den Schweif ein und stießen langgezogenes, ängstliches Gebell aus. John Bull erging sich nicht mehr in Verrenkungen und Grimassen. Nur Vermout und Gladiator fanden sich bereitwillig in die Situation, da sie nichts anderes zu thun hatten, als das fette, frische Gras der umliegenden Ebene abzuweiden.
»Man muß aber doch einen Entschluß fassen!« sagte Herr Cascabel mehrmals, indem er die Arme kreuzte.
Allerdings; aber welchen’?… Welchen?… Das hätte Herrn Cascabel nicht in Verlegenheit setzen sollen; denn, um die Wahrheit zu sagen, er hatte keine Wahl: er mußte zurückgehen, da er nicht vorwärts gehen durfte. Die Reise nach Westen, die man so resolut unternommen hatte, aufgeben! Da mußte man den verwünschten Boden von Britisch-Kolumbia nochmals passieren und dann die Prairien des Far West durchziehen, um die Küste des Atlantischen Oceans zu erreichen. Und was würde man machen, wenn man sich nun in New-York befand? Vielleicht würden ein paar mildthätige Seelen eine Subskription eröffnen, um die Repatriirung der Familie zu ermöglichen? Welche Demütigung für diese braven Leute, die stets von ihrer Arbeit gelebt hatten, sich zum Empfangen eines Almosens zu erniedrigen! Ah! die elenden Schufte die ihnen in den Pässen der Sierra Nevada ihr kleines Vermögen gestohlen!
»Wenn die nicht in Amerika gehenkt oder in Spanien garrottiert oder in Frankreich guillotiniert oder in der Türkei gepfählt werden,« sagte Herr Cascabel öfters, »so giebt es keine Gerechtigkeit mehr auf Erden!« Endlich faßte er einen Entschluß.
»Morgen brechen wir auf!« sagte er am Abend des vierten Juni. »Wir kehren nach Sakramento zurück, und dann…«
Er beendete seinen Satz nicht. In Sakramento würde man weitersehen. Im übrigen war alles zur Abreise bereit. Man brauchte bloß die Pferde anzuspannen und südwärts zu lenken.
Jener letzte Abend an der Grenze von Alaska war noch trauriger. Jedermann hielt sich stumm in seinem Winkel. Die Nacht war stockfinster. Schwere formlose Wolken furchten den Himmel, treibenden Eisschollen gleich, die eine starke Brise gen Osten jagte. Der Blick vermochte an keinem Sterne zu haften und die Mondsichel war kurz zuvor hinter den hohen Bergen am Horizont erloschen.
Es war gegen neun Uhr, als Herr Cascabel seinem Personal den Befehl zum Schlafengehen erteilte. Am folgenden Tage würde man beim ersten Morgengrauen aufbrechen. Die Belle-Roulotte würde auf dem Wege zurückkehren, auf dem sie von Sakramento gekommen und der auch ohne Führer leicht zu finden war. Sobald man die Quellen des Fraser erreichte, brauchte man nur das Thal desselben bis an die Grenze des Territoriums von Washington zu verfolgen.
Nachdem er den beiden Hunden gute Nacht gewünscht, schickte Clou sich eben an, die Thür des äußersten Raumes zu schließen, als ein Knall aus geringer Entfernung herüberdröhnte.
»Das tönt wie ein Schuß!« rief Herr Cascabel.
»Ja… man hat geschossen…« antwortete Jean.
»Vermutlich irgend ein Jäger…« meinte Cornelia.
»Ein Jäger… in dieser finstern Nacht?…« warf Jean ein. »Das ist nicht recht wahrscheinlich.«
Da krachte ein zweiter Schuß und Rufe schollen aus dem Dunkel.
X. Kayette.
Bei diesen Rufen stürzten Herr Cascabel, Jean, Xander und Clou aus dem Wagen.
»Dort muß es sein!« sagte Jean, nach dem Waldrande deutend, der sich längs der Grenze hinzog.
»Horchen wir noch!« entgegnete Herr Cascabel.
Das war vergeblich. Kein weiterer Schrei scholl durch den Raum, kein weiterer Schuß erfolgte.
»Sollte es ein Unfall gewesen sein?…« fragte Xander.
»So viel ist jedenfalls sicher,« antwortete Jean, »daß die Rufe Hilferufe waren, und daß jemand da drüben in Gefahr schwebt…«
»Man muß ihm zu Hilfe eilen!« sagte Cornelia.
»Ja, Kinder, gehen wir,« antwortete Herr Cascabel; »und nehmen wir Waffen mit!…«
Schließlich war es ja möglich, daß es sich hier nicht um einen bloßen Unfall handelte. Vielleicht war irgend ein Reisender einem Verbrechen an der alaskischen Grenze zum Opfer gefallen. So mußte man denn vorsichtshalber bereit sein, sich selber sowohl als andere zu verteidigen.
Binnen wenigen Sekunden hatten Herr Cascabel und Jean, Xander und Clou, die ersteren mit Flinten, die beiden letzteren mit Revolvern bewaffnet, die Belle-Roulotte verlassen, welche Cornelia und
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