Cäsar Cascabel
Cornelia.
»Sie war es, deren Rufe wir hörten,« antwortete Jean; »sie befand sich bei dem Verwundeten.«
Letzterer war ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, mit bereits ergrauendem Haar und Barte, von hoher, kräftig gebauter Gestalt und sympathischen Zügen, die, obgleich sein Gesicht bleich war und die geschlossenen Lider seinen Blick verhüllten, einen energischen Charakter bekundeten. Von Zeit zu Zeit entrang sich seinen Lippen ein Seufzer; aber er sprach kein Wort, aus dem man auf seine Nationalität hätte schließen können.
Als seine Brust entblößt worden, konnte Cornelia konstatieren, daß sie von einem Dolchstoße zwischen der dritten und vierten Rippe durchbohrt worden sei. War diese Verwundung tödlich? Nur ein Arzt hätte das beurteilen können. Jedenfalls schien es unzweifelhaft, daß sie sehr ernster Natur sei.
Da die Intervention eines Arztes indessen unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich war, so mußte man sich mit der Pflege, welche Cornelia dem Verwundeten angedeihen lassen konnte, und mit den in der kleinen Reise-Apotheke enthaltenen Heilmitteln begnügen.
Das geschah denn auch und es gelang, die Blutung, welche einen schnellen Tod herbeizuführen drohte, zu hemmen. Man würde später sehen, ob es möglich sei, den Mann in diesem Zustande absoluter Entkräftung in den nächsten Marktflecken zu transportieren. Diesmal würde Herr Cascabel nicht lange fragen, ob es ein britisch-kolumbischer sei, oder nicht.
Nachdem sie die Wunde sorgfältig mit frischem Wasser ausgewaschen, legte Cornelia mit Arnika getränkte Kompressen darauf. Dieser Verband genügte, um das Blut zu stillen, von dem der Verwundete seit dem Augenblick des Mordes bis zu seiner Ankunft im Lager sehr viel verloren hatte.
»Und was können wir jetzt thun, Cornelia?…« fragte Herr Cascabel.
»Wir werden den Unglücklichen auf unser Bett legen,« antwortete Cornelia, »und ich werde bei ihm wachen, um die Kompressen nach Bedarf zu erneuern.«
»Wir werden alle bei ihm wachen!« sagte Jean. »Wir können ja sowieso nicht schlafen. Und dann müssen wir auch auf unserer Hut sein, da sich Mörder in der Umgegend befinden.«
Herr Cascabel, Jean und Clou trugen den Mann auf das Bett in der innersten Abteilung.
Während Cornelia an seinem Lager blieb und vergeblich auf ein Wort von ihm harrte, erzählte die junge Indianerin, deren Chinouk-Dialekt Herr Cascabel mit einiger Mühe verstand, ihre Geschichte.
Sie war wirklich eine Eingeborene, von einer der autochthonen Rassen Alaskas. In dieser Provinz, nördlich und südlich von dem großen Flusse Youkon, stößt man auf zahlreiche wandernde sowohl, als auf ansässige Indianerstämme, unter anderen auf die Co-Youkons, welche vielleicht die bedeutendsten und wildesten von allen Stämmen bilden, dann die Newicargouts, die Tananas, die Kotcho-a-Koutchins und auch, insbesondere gegen die Mündung des Flusses zu, die Pastoliks, die Haveacks, die Primsker, die Melomuten und die Indgeleten.
Diesem letzteren Stamme gehörte die junge Indianerin an, welche sich Kayette nannte.
Kayette hatte weder Eltern noch Verwandte mehr; es sind nicht nur Familien, welche auf diese Weise aussterben, sondern ganze Stämme, von denen man keine Spur mehr auf alaskischem Gebiete findet.
So z. B. die »Leute der Mitte«, die früher nördlich vom Youkon wohnten.
Allein, ohne Eltern zurückgeblieben, hatte Kayette sich nach Süden auf den Weg gemacht, durch Gegenden, welche ihr von früheren Wanderungen mit ihrem Stamme her bekannt waren. Ihr Plan war, nach der Hauptstadt Sitka zu gehen, wo sie in den Dienst irgend eines russischen Beamten zu treten gedachte. Und wahrlich, man würde sie schon auf ihre ehrliche, sanfte und gewinnende Miene hin engagiert haben. Sie war sehr hübsch, von nur leicht ins Braune spielender Hautfarbe, mit schwarzen, lang bewimperten Augen und reichem braunen Haar, das von einer Pelzkapuze zurückgehalten wurde.
Von mittelgroßer Gestalt, schien sie trotz ihres schweren Überrockes anmutig und geschmeidig zu sein.
Bekanntlich entwickeln diese nordamerikanischen Indianer-Rassen, Burschen und Mädchen, von lebhaftem und fröhlichem Charakter, sich sehr schnell. Mit zehn Jahren handhaben die Knaben bereits geschickt die Flinte und das Beil. Mit fünfzehn Jahren verheiraten die Mädchen sich und sind trotz ihrer Jugend vortreffliche Familienmütter. Kayette war denn auch ernster und entschlossener als man es bei ihrem Alter erwartet hätte, und die lange Reise, die
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