Cäsar läßt grüssen
jovialen Vater, neidisch auf den erstgeborenen Bruder, junkerhaft hochfahrend, krankhaft stolz. Er war der Typ des blinden Reaktionärs; alle »Fortschrittler« sind dankbar, daß es ihn gibt, weil er sich so wunderbar als Schreckgespenst verwenden läßt. In Wahrheit ist er nur der Beweis für den Unterschied von reaktionär und konservativ.
Er war kein Dummkopf, die Flavier waren es alle nicht. Seine außenpolitischen Maßnahmen waren sehr gut und manche innenpolitische auch. Er erließ ein Gesetz, das jeden unbescholtenen Bürger vor Diffamierung und Verunglimpfung durch die Asphaltliteraten schützte, er griff bei Fällen von Unzucht der Vestalinnen (die Fälle häuften sich) unerbittlich durch, er ordnete Prozesse gegen parteiische und ungerechte Beamte an — aber froh wurde dieser Dinge niemand, weil Domitian auf der anderen Seite von einer geradezu hysterischen Empfindlichkeit war. Niemand wußte es ihm recht zu machen; die Maxime des Verhaltens ruhte allein in der Brust des Kaisers. Er glaubte, stets gerecht zu sein, wobei er vergaß, die Grundsätze klarzumachen. Seine Wege waren mindestens ebenso un-erforschlich wie die sprichwörtlichen Wege Gottes. Er selbst hätte das durchaus logisch gefunden, denn er ließ sich Dominus und Deus ansprechen. Eine Ungeheuerlichkeit für die Römer; sie hatten noch nicht vergessen, daß Dominus einst »Besitzer« geheißen hatte. Erstklassig war seine Militärpolitik; ich meine also nicht die Erfolge des Heeres in Britannien, Germanien, Dakien (im heutigen Ungarn), sondern die außerordentlich kluge Auswertung. Er rief seinen Feldherrn aus Britannien zurück, sobald eine Linie erreicht war, die die größte Sicherheit bot. Er begnügte sich bei dem Vorstoß in Württemberg, als er die Verbindung von Main und Oberdonau durch einen Limes sichern konnte. Und mit den Dakern schloß er sofort Frieden, als er sah, daß er (übrigens er persönlich als Feldherr) nicht durchkam.
Er war ein seltsames Gemisch von vernünftig und unvernünftig, von harmlos und bedrückend. Er war ein Anachronismus.
Eine große Veränderung ging in ihm vor, als im Jahre 89 die Rheinarmee gegen ihn revoltierte (der Grund war ziemlich läppisch: man protestierte nach dem »schmachvollen« Dakerfrieden gegen ihn als obersten Befehlshaber). Argwohn gegen seine Umgebung erwachte, er begann alle, auch seine Familie, mit anderen Augen, mit den Augen des bedrohten Tieres zu sehen. Die Wechselwirkung blieb nicht aus: Es wisperte und flüsterte bald wirklich überall. Um das Jahr 90/91 war Domitian bereits soweit, daß er an Verfolgungswahn litt.
Den Keim einer Verschwörung rottete er blutig aus. Auch Juden und Christen fielen dem Wahn zum Opfer. Als er einen neuen Anschlag auf sein Leben entdeckt zu haben glaubte (oder wirklich entdeckt hatte), räumte er mit der Blindheit eines Gehetzten auch unter seinen Getreuen auf. Er war nicht mehr wiederzuerkennen.
Auch Rom — Senat, Hof und Offizierscorps — war nicht mehr wiederzuerkennen. Alles schwebte in Angst. Als sich Anzeichen bemerkbar machten, daß Domitian sogar seiner Frau mißtraute (zu Unrecht), und als allmählich klar wurde, daß es auch ihr an den Hals gehen würde, da versuchte sie sich zu retten, indem sie das tat, was der Verfolgungswahnsinnige ihr zutraute: sie verbündete sich mit einer Gruppe von Verschwörern und öffnete die Tür einem Mörder, der den Kaiser erdolchte.
September 96. Das Ende des letzten Flaviers.
IM SECHZEHNTEN KAPITEL
werden wir eine lehrreiche Entdeckung machen: Rom erlebt hintereinander fünf gute Kaiser, von Nerva bis Marc Aurel, aber es zeigt darüber nicht ein bißchen Freude. Die Stadt, inzwischen ein wahres Chicago, ist ein undankbarer genußsüchtiger Parasit des Reiches geworden. Unter dem Deckmantel »Macht Liebe, nicht Krieg« entzieht sie sich allen Pflichten und jeder Selbstdisziplin. Und da die aufstrebenden Völker auf dieser Erde stets den Krieg der Liebe vorziehen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann Rom ausgelöscht wird.
Wie geht es eigentlich der Tante in Tarentum und dem Onkel in Verona? Oder ist das nicht römische Geschichte?
Der Tante geht es gut. Sie hat in der Straße des Neptun immer noch den kleinen Laden für Wolle, den seit dem Tode ihres Mannes ein alter Sklave führt. Ein netter, freundlicher Sklave, ein bißchen wacklig, und deshalb war er billig. Andererseits ist er unschätzbar nützlich, denn in seinen besseren Tagen war er Nomenclátor gewesen, kennt also heute noch halb
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