Cäsars Druide
Ariovist wünschte eine weitere Besprechung. Er bat Cäsar um einen Terminvorschlag oder um die Entsendung von Vertrauten. Cäsar ging zum Schein darauf ein. Während er bereits die Schlacht vorbereitete, sollte Ariovist glauben, daß man demnächst wieder verhandeln würde. Daß Cäsar ausgerechnet mich und den Prinzen Valerius Procillus als Gesandte schickte, empfanden wir als Auszeichnung. Am Anfang wenigstens.
Die germanischen Reiter brachten uns ins Lager des Ariovist. Wir waren beide stolz, als Repräsentanten Roms dem germanischen Suebenführer vorgestellt zu werden.
Das Lager des Ariovist hatte keinerlei Befestigung. Im Gegensatz zu einem römischen Marsch- oder Standlager konnte man auch keinerlei Ordnung erkennen. Die ganze Ebene schien innerhalb weniger Stunden in eine gigantische Zeltstadt verwandelt worden zu sein. An manchen Stellen waren Karren zu einer Wagenburg zusammengezogen worden. Offenbar kampierten auch die Germanen nach Sippen und Familien geordnet. Unser Erscheinen löste im Lager kaum Aufsehen aus. Ab und zu flog uns ein abgenagter Knochen um die Ohren, denn überall saßen die Leute um Feuerstellen herum und brieten und aßen Fleisch. Einmal mehr imponierte uns der in der Tat erstaunlich hohe Wuchs der Germanen, der breite, knochige Körperbau, die helle Haut, die mit Talg und Asche eingerieben wurde, um sie noch heller erscheinen zu lassen, und die rotblonden Haare, die im Süden kaum bekannt waren. Auf ihre Art waren diese Germanen viel exotischer als dunkelhäutige Nubier oder Ägypter. Aber vor allem furchterregender.
Ariovists Zelt war weit geöffnet. Im Innern stapelten sich Felle, Tücher und Wolldecken wie in einem Handelshaus in Massilia. Zahlreiche junge Frauen, vermutlich häduerische Geiseln, saßen inmitten von angeheiterten Kriegern bei einem opulenten Mahl. Plötzlich erhob sich einer der Krieger zwischen Kisten und Fässern und kam auf uns zu. Erst jetzt erkannten wir, daß es Ariovist war. Seine Kleidung war bescheidener als die mancher seiner Gäste.
»Cäsar schickt uns Kelten!« brüllte Ariovist. »Hat er Angst um seine römischen Offiziere!«
Procillus erwiderte: »Ariovist, ich bin Procillus, Fürst der Helvier und …«
»Legt sie in Ketten, diese Spione!«
Wir hatten gar keine Zeit, uns zu wehren. Während Ariovist uns wieder den Rücken zudrehte und sich seinen Gästen zuwandte, wurden wir unsanft aus den Sätteln gerissen und in Ketten gelegt. Ein paar Krieger schleppten uns zu einem Platz, wo vier Karren zu einem Rechteck zusammengefügt worden waren. Innerhalb dieses Rechtecks stand ein Baum, an dem mehrere Gefangene angekettet waren. Einige waren verletzt und lagen im Sterben. Auch auf den vier Karren, die wie Mauern angeordnet worden waren, lagen Verletzte, die leise wimmerten und zu ihren Göttern flehten. Auch Procillus war erstaunt. Eben waren wir noch stolz gewesen, als Roms Vertreter bei Ariovist vorzusprechen. Jetzt waren wir seine Gefangenen. Ich war froh, daß Wanda nicht mitgekommen war.
»Druide«, flüsterte Procillus, »du kennst die Sitten und Bräuche der Germanen besser als ich – was haben die mit uns vor?«
»Das wissen die selber noch nicht, Procillus, aber mir wird da gerade etwas ganz anderes klar …«
Procillus schaute mich ungeduldig an. Ich sagte es ihm: »Ich begreife allmählich, wieso Cäsar nicht einen Legaten oder Tribun geschickt hat. Sondern uns zwei. Er hat uns geopfert. Er wußte, daß seine Unterhändler nicht mehr zurückkehren werden.«
Procillus schien gekränkt. Daß Cäsar seine Ehre verletzt hatte, schien ihn mehr zu kümmern als sein baldiger Tod. Ich hielt Ausschau nach Lucia. Als sei dies irgendwie noch von Belang.
Zwischen den einzelnen Wagen standen germanische Wachen. Über dem Lager hing der Duft von gegrilltem Schweinefleisch und Kräutern. Ich setzte mich, während Procillus stolz stehen blieb. Der Germane, der uns am nächsten stand, nagte an einem Knochen. Manchmal schaute er zu uns rüber. Sein Blick war leer. Plötzlich bewegte sich etwas hinter ihm. In einem der Wagen. Ich erkannte das mit Kalkwasser gebleichte und stachelförmig frisierte Haar eines Kelten. Tatsächlich, langsam richtete sich ein junger Kelte, der offenbar bäuchlings im Karren gelegen hatte, auf. Jetzt kniete er hinter dem Germanen, der sich mit dem Fingernagel Fleisch aus den Zähnen pulte. Blitzschnell warf der junge Kelte seine Handketten über den Kopf seines Bewachers und schnürte ihm die Kehle zu. Ohne einen Ton von
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