Cäsars Druide
summte ich leise die Verse mit, denn ich hatte sie vor Jahren auswendig gelernt und habe bis heute kein einziges Wort vergessen. Als die Druiden zum ersten Mal den Namen Orgetorix erwähnten, war ein leises Raunen vernehmbar. Eigentlich hätte uns Orgetorix, einer der vermögendsten Helvetier, an den Atlanticus führen sollen. Aber als wir vor drei Jahren mit den Vorbereitungen anfingen, sickerte plötzlich durch, daß er König der Helvetier werden wollte. Heimlich hatte er je einen Fürsten der keltischen Sequaner und Häduer dazu überredet, ebenfalls die Königskrone an sich zu reißen. Zu dritt hatten sie Gallien beherrschen wollen. Allerdings haben keltische Geheimbünde einen Nachteil. Sie sind ungefähr so geheim wie die Erntezeit in Gallien. Orgetorix bestieg deshalb nicht den Thron, sondern die Fähre in die Anderswelt. Der greise Divico wurde zum neuen Führer gewählt. Vor rund fünfzig Jahren hatte er sich dem Zug der germanischen Kimbern angeschlossen, die damals von Norden her wie eine Lawine gen Süden rollten. An der Garumna hatte der junge Divico den römischen Konsul L. Cassius Longinus vernichtend geschlagen und seine Soldaten wie Vieh unter das Joch geschickt. Wie üblich hatten wir diesen Sieg nicht zu nutzen gewußt. Sklaven sammeln war für uns eher eine Freizeitbeschäftigung, und dieser Ausflug in den Süden war eine nette Art gewesen, den Sommer zu verbringen. Aus dieser Zeit stammen die freundlichen Beziehungen zu den Santonen am Atlanticus. Und die weniger freundlichen Beziehungen zu den Römern. Divico mußte mittlerweile über achtzig Jahre alt sein. Viele dachten, die Götter hätten Divico so alt werden lassen, damit er die Helvetier und die anderen Stämme an die atlantische Küste führe.
Der Druide Santonix hob beschwörend seine Stimme und ermahnte uns, Divicos Befehlen zu gehorchen. Ein kalter Schauer ließ mich erzittern. Zwölf keltische Oppida, vierhundert Dörfer und zahllose Einzelhöfe (wie der unsrige) sollten in wenigen Tagen in Flammen aufgehen. Einige brannten bereits. Mit heiserer Stimme drängte Santonix, bereits in der Nacht loszuziehen. Ich bin zwar kein gefühlsduseliger Mensch oder möchte vielmehr keiner sein, aber es machte mir schon ziemlich viel aus, hier zu stehen und zu wissen, daß wir diese Menhire und die in der Dunkelheit verborgenen Holzstatuen zum letzten Mal sahen. Und die Vorstellung, daß Ariovists Leute sie einfach anpinkeln würden, ärgerte mich maßlos. Ich wurde zunehmend ungeduldiger. Ich holte tief Luft und betete inbrünstig zur Wassergöttin Conventina, sie möge den Regen zurückhalten, damit unsere Wege trocken und für die schwerbeladenen Ochsenkarren passierbar blieben. Ich flehte unsere Pferdegöttin Epona an, sie möge meinen Ritt beschützen, denn ich hielt es für unwahrscheinlich, den ganzen Weg über wie gepökeltes Schweinefleisch in einem Ochsenkarren zu sitzen. Ich flehte Sucellus, den Todesgott mit dem Holzhammer, an, er möge es beim Nächsten versuchen, und auch die Hilfe von Cernunnos, Rudiannus und Segomo erflehte ich inbrünstig. Ich war glücklich, daß wir so viele Götter hatten, denn einer würde bestimmt Zeit finden für mein Anliegen, und wenn ich einen in der Vergangenheit verärgert haben sollte, dann gab es noch genug andere, die mich mochten.
Und sie waren da in jener Nacht, mitten unter uns. Plötzlich, als hätte einer der angeflehten Götter meine Bitte erhört, spürte ich eine wohlige Wärme in mir. Ich spürte Kraft und Zuversicht. Ich sehnte mich nach Licht und warmen Sonnenstrahlen, nach Wasser und römischem Wein. Ich dachte wieder an die germanischen Reiter, die Wanda und ich gesehen hatten. Aber jetzt hatte ich keine Angst mehr. Ich überlegte ernsthaft, ob ich nicht doch Druide werden sollte, anstatt mit Basilus nach Massilia zu gehen? Massilia!
»Korisios!« Erst jetzt bemerkte ich, daß mich Celtillus streng musterte. Er schien meine Gedanken zu erraten, was nicht sonderlich schwierig war, da ich gerade in meinem imaginären Handelshaus in Massilia hofhielt.
Ich rempelte Basilus kurz an und flüsterte ihm »Massilia« zu. »Schweig«, zischte Celtillus.
Meine Überlegungen und die Klarheit meiner Gedanken überraschten mich. Das mußte eine Eingebung der Götter sein. Ich wollte in Massilia ein großer Händler werden und nicht in irgendeinem heiligen Wald Moos ansetzen. Ich würde mich zwar weiterhin von ihnen unterrichten lassen. Aber langfristig würde mir das Schreiben von Rechnungen wohl
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