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Cäsars Druide

Titel: Cäsars Druide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cueni Claude
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mehr Spaß machen als das Schneiden der Mistel. Aber wozu sich Gedanken über Dinge machen, die die Götter längst beschlossen haben?
    Es ist schon seltsam, aber in jener Nacht war ich vermutlich einer der wenigen in unserer Gemeinschaft, die sich keine Sorgen machten. Und dies, obwohl meine Chancen, die nächsten Tage zu überleben, relativ schlecht waren. Ich war zwar im Laufe des Tages für kurze Zeit bekümmert gewesen, ich hatte sogar geweint, hatte mich, als ich mit Wanda ins Dorf zurückgekehrt war, hilflos und wie versteinert gefühlt, aber jetzt spürte ich eine unheimliche Kraft in mir. Mit Teutates' Hilfe hatte ich mich an meinem Gedanken regelrecht berauscht. Ich wußte, daß ich die nächsten Tage überleben würde. Die Götter waren in mir und mit mir. Die Römer nennen das den ›Genius‹, den leitenden und behütenden Geist einer Person. Ich mußte ein ganzes Rudel davon haben. Und ich spürte, daß Epona, die Pferdegöttin, die treibende Kraft war. Und Taranis, der Vater des Dis, mußte auch mein Vater sein.
    Die beiden Druiden, die Santonix begleiteten, führten nun zwei Ochsen auf die Lichtung. Man spürte förmlich, wie angespannt alle waren, der ganze Wald schien zu knistern. Jedes Mal, wenn ein Windstoß durch die Blätter fuhr, muß es den andern kalt über den Rücken gelaufen sein. Bei meinen Fettreserven war die Kälte allerdings kein Problem. Ich fühlte mich plötzlich ausgelassen und heiter, als hätte ich gegorene Beeren gegessen.
    Celtillus starrte ängstlich auf den einen Ochsen; ich weiß nicht, wovor er Angst hatte: daß der Ochse dem Druiden auf die ledernen Schnabelschuhe kotete oder infolge geistiger Umnachtung den anderen Ochsen bestieg. Aber Celtillus machte sich Sorgen und litt. Es schmerzte mich, daß dieser Mensch, dem ich soviel Achtung entgegenbrachte, gebückt neben mir stand und schlotterte wie ein abgenagtes Skelett, das im Wipfel einer heiligen Eiche hing. Das mußte der römische Wein sein. Jetzt löste er die bronzeverzierte Fibel von seinem braunrot karierten Wollumhang, zog den Stoff fester über die Schulter und befestigte erneut die Fibel. Ja, seine Hände zitterten.
    Aber Celtillus war auch alt. Alte Menschen zittern manchmal wie Ochsenkarren, die langsam auseinanderfallen. Und alte Menschen weinen auch öfter. Denn sie haben mehr gesehen und mehr gelitten und zeigen deshalb mehr Anteilnahme am Leid der anderen. Besonders wenn sie getrunken haben. Celtillus' einst so stolzer Schnurrbart war weiß und gelblich geworden. Auf seiner dunklen, wettergegerbten Stirn hatten sich tiefe Kummerfalten gebildet. In der Dunkelheit sah er so aus, als hätte er bereits ein paar Jahre im Moor gelegen. Jetzt atmete er tief durch, und so, wie jeder Hund sein Territorium mit seiner Duftmarke kennzeichnete, hatte auch Celtillus seine eigene Marke: Wein, Knoblauch und Zwiebeln. Gerne hätte ich ihm gesagt, daß er sich um mich keine Sorgen zu machen brauchte. Bei Teutates, Esus und Taranis! Wer waren denn die geachtetsten Menschen zwischen Asia Minor und den Britischen Inseln, zwischen Petra und Carthago, zwischen Delos und Sardinien, zwischen Massilia und Rom? Die Männer mit dem stärksten Schwertarm, die Männer mit den meisten Goldbarren, die Männer mit dem Geschlechtsteil eines Esels oder die Männer mit dem größten Wissen? Als Kelte mußte Onkel Celtillus doch wissen, daß das größte Vermögen eines Kelten sein Kopf ist. Bei uns Kelten ist doch der Kopf der wichtigste Körperteil überhaupt. Nur deshalb macht es uns Spaß, ihn dem Feind abzuschlagen. Die Römer haben das nie begriffen. Ein verletzter Römer kehrt zu seinem Centurio zurück, aber ein Römer ohne Kopf wird nie im Leben zu seiner Kohorte zurückfinden. Und wir erben seine Körperkraft!
    Es schmerzte wirklich, Onkel Celtillus so leiden zu sehen. Aber vielleicht schätzte ich den heutigen Anlaß auch völlig falsch ein. Denn wir feierten heute nicht Samhain oder ein anderes Jahreszeitenfest, nein, wir erflehten Hilfe von unseren Göttern. Das Überleben unserer Gemeinschaft stand auf dem Spiel. Und Santonix allein würde uns erzählen, was die Götter ihm mitgeteilt hatten. Und wenn Santonix und die anderen Druiden sterben würden, wäre mit einem Schlag jahrtausendealtes Wissen verschwunden. Bei den Römern, Griechen oder Ägyptern würden Wachstafeln, Papyrusrollen, Pergamentrollen, Steintafeln, in Knochen, Metall oder Holz geschnitzte Inschriften zurückbleiben, die andere studieren und entziffern konnten.

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