Cäsars Druide
Handelshaus in Massilia? War der Grundstein eines jedes Erfolgs nicht eine Vision, ein Traum? War nicht auch Hannibals Alpenüberquerung ursprünglich nur eine Phantasterei gewesen? Und sagten nicht selbst unsere Druiden, daß man Visionen zuerst in den Träumen verwirklichen muß, bevor sie wahr werden können? Vercingetorix war ein junger, ungestümer und tatenfreudiger Mann. Ich denke, daß er dem jungen Divico, der seinerzeit die Römer unter dem Joch hindurchgeschickt hatte, nicht unähnlich war. Man spürte, daß er mehr leisten konnte als andere Menschen. Von ihm ging eine unwiderstehliche Kraft aus. Er hatte das magische Charisma, das die Götter nur jenen schenken, die sie auserwählen, ein Volk zu führen. Wenn er sprach, verstummten alle und hörten ihm zu. Wenn unsereiner das Wort erhebt, geht das Gerede munter weiter. Man wird nicht mal zur Kenntnis genommen.
Vercingetorix schien an jenem Tag irgendwie abwesend. Er trug das dicke, schwarze Haar viel länger als die adligen Arverner. Wie eine Mähne fiel es über seine Schultern. Die schwarzen Augen waren groß und finster, aber nicht kalt. Erbarmungslos, vielleicht, oder eher von einer gewissen Besessenheit. Seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war sein Gesicht noch hagerer geworden. Die Wangen waren stark eingefallen. Die schmale, lange Nase und das knochige, breite Kinn stachen noch stärker hervor. Als ich ihm so gegenübersaß, dachte ich, daß er das Unmögliche schaffen könnte. Ich hatte schon viele Kelten darüber reden gehört. Aber Stolz und Wille genügten nicht, um Cäsar zu besiegen. Man brauchte genaue Kenntnisse der römischen Kriegsführung, die Intelligenz, eine Strategie zu entwickeln, und die Weisheit, manchmal auch mit Geduld vorzugehen. Und den Glauben an die eigene Vision. Denn der größte Feind eines jeden Menschen sitzt in seinem eigenen Kopf. Es ist das ewige Zaudern des Mutlosen, der ewige Pessimismus der Verlierer und die Trägheit der Versager, deren Neid und Mißgunst die Erfolgreichen verfolgt.
»Vercingetorix! Die Römer durchwühlen unsere heiligen Moore und plündern unsere heiligen Gewässer. Sie rauben unsere Götter aus. Wenn irgend etwas uns Kelten zusammenschweißen kann, dann die Pflicht, diese Gotteslästerer zu bestrafen. Cäsars größter Feind sind nicht die Krieger. Es sind die Druiden! Nur unter den Druiden spielt die Stammeszugehörigkeit keine Rolle. Alle keltischen Druiden wählen einmal im Jahr im Wald der Carnuten ihr geistiges Oberhaupt. Wenn dieses Oberhaupt den heiligen Krieg gegen Rom befiehlt, werden alle Druiden diesen Befehl in ihre Stämme tragen und dafür sorgen, daß er ausgeführt wird. Vercingetorix, ich werde den Wald der Carnuten aufsuchen.«
Vercingetorix schaute mich verblüfft an. Es schien so, als würde er diesem Augenblick eine ganz besondere Bedeutung beimessen. Er ergriff meinen Arm, so wie es Cäsar immer getan hatte, wenn er um meine Komplizenschaft gebuhlt hatte, und sagte nachdenklich: »Nur die Druiden können den Stammesfürsten befehlen, zugunsten eines von allen Kelten anerkannten Heerführers auf ihre Herrschaft zu verzichten.«
Erregt packte mich Vercingetorix an beiden Schultern und schaute mich eindringlich an. »Sag mir, Druide, ist es zu schaffen?«
»Ja«, antwortete ich zutiefst überzeugt, »es ist zu schaffen, Vercingetorix. Aber das bedeutet nicht, daß es einer von uns schaffen wird. Es bedeutet nur, daß es einer unter uns schaffen könnte.«
»Wenn es zu schaffen ist, dann werde ich es schaffen«, sagte Vercingetorix und erhob sich. Mit leerem Blick schaute er den beiden Mannschaften zu, die den Kopf zwischen den beiden Jochen hin und her kickten. Ein Kelte gab Vercingetorix ein Zeichen. Vercingetorix nickte ihm zu. Darauf stiegen die Kelten, die ihn begleitet hatten, wieder auf ihre Pferde. Der Arverner reichte mir die Hand und führte mich zu meinen Begleitern zurück. Der verschneite Boden war heimtückisch, denn unter der weißen Pulverschicht waren oft vereiste Stellen, auf denen man schnell das Gleichgewicht verlor. Schmunzelnd bemerkte Vercingetorix, daß meine Begleiter heute Glück gehabt hatten, weil sie mittellos durch die Gegend ritten. Normalerweise würden seine Männer römische Händler wie Gänse ausnehmen.
Nachdem er mich zwischen Fufius Cita und Kretos wieder auf einem Baumstrunk abgesetzt hatte, ging er zu seinem Pferd zurück und sprang von hinten auf. Dann winkte er mir zu und ritt mit seinen Männern davon. Offenbar waren
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