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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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gesagt, er machte in Oxford seinen Doktor in Physik, aber dann kam er plötzlich nach Hause - unangekündigt - und redete ohne Punkt und Komma und ratterte auf Deutsch irgendwelche Formeln runter. Das ging die ganze Nacht so, und er latschte dabei ständig oben an der Treppe auf und ab. Das Helium und der Wasserstoff, bla, bla, bla. Die ganze Nacht.
    Meinen Eltern wurde rasch klar, dass mit meinem Bruder ernsthaft etwas nicht stimmte - deshalb brachten sie ihn zu einem Arzt, und der verschrieb Tim die gängigen Medikamente. Die verflixten kleinen Pillen. Neuroleptika. Und eine Weile wirkten sie auch … aber eines Abends, es war Weihnachten, hörte ich wieder dieses komische Gebrabbel und … und da war wieder diese Stimme. Wieder. Ja. Das Helium und der Wasserstoff. Und ich lag im Bett und überlegte, was machst du jetzt? Doch dann hörte ich diesen schrecklichen Schrei, und ich stürmte aus meinem Zimmer, und mein Bruder war im …« Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. »Mein Bruder, er war im Schlafzimmer meiner Eltern, und sie war allein, weil mein Vater weg war … und mein Bruder griff sie an, hackte mit einer Machete auf meine Mutter ein. Mit so einem Riesending von Messer. Einer Machete. Was es genau war, weiß ich nicht. Jedenfalls hieb er damit auf sie ein, auf unsere Mutter, und deshalb warf ich mich auf ihn und drückte ihn runter, und alles war voll Blut, einfach alles - die Wände waren total vollgespritzt. Ich hätte ihn fast erwürgt. Fast hätte ich meinen eigenen Bruder umgebracht.« Simon holte Luft.
    »Die Polizei kam, und sie brachten ihn weg und … und meine Mutter kam ins Krankenhaus, und sie flickten sie wieder zusammen, doch ein paar Finger konnte sie nicht mehr bewegen, die Nerven waren durchtrennt. Aber sonst war sie okay, was wirklich ein großes Glück war. Sie hätte ohne weiteres sterben können - aber sie kam wieder auf die Beine. Und dann standen wir als Familie vor einem fürchterlichen Dilemma - sollten wir Anzeige erstatten? Mein Vater und ich meinten, ja, aber meine Mutter fand, nein. Sie liebte Tim mehr als wir. Sie glaubte, seine Krankheit wäre zu behandeln. Deshalb ließen wir uns umstimmen; dummerweise, verrückterweise ließen wir uns von ihr umstimmen. Und Tim kam wieder nach Hause, und eine Weile machte er einen ganz normalen Eindruck, dank der Mittel, die er nehmen musste; doch dann, eines Nachts, ging es wieder los: das Helium und der Wasserstoff…«
    Simon spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat; hastig fuhr er mit seiner Geschichte fort.
    »Tim redete wieder so wirr vor sich hin, in seinem Zimmer. Und dann war der Fall natürlich klar. Wir riefen die Polizei - und sie kamen sofort. Sie lieferten Tim in eine Anstalt ein. Und dort ist er heute noch. In seine Zelle eingesperrt. Er ist seitdem nicht mehr rausgekommen. Und wird den Rest seines Lebens dort bleiben.«
    Als er zum Schluss kam, spürte er die gewohnte Erleichterung. »Tja, und das war der Punkt, an dem ich zu trinken anfing - ich wollte einfach vergessen. Dann kamen die Sulfate dazu und irgendwann so ziemlich alles, was es gibt… Vor sechs Jahren habe ich zu trinken aufgehört, und ja, ich habe mir das volle NA-Programm reingezogen, sechzig Treffen in sechzig Tagen! Und seitdem bin ich clean.
    Und jetzt habe ich eine Frau und einen Sohn, und ich liebe sie beide sehr. Tja, Wunder geschehen. Das ist tatsächlich so. Natürlich weiß ich immer noch nicht, warum mein Bruder das damals getan hat und was es bedeutet, aber … inzwischen sehe ich die Sache so: Vielleicht habe ich ja nicht die gleichen Gene wie er, vielleicht wird mein Sohn nicht daran erkranken. Wer weiß. Jedenfalls, immer schön einen Tag nach dem anderen. Das ist meine Geschichte. Und vielen Dank, dass ihr mir zugehört habt. Danke.«
    Dankesmurmeln füllte den warmen, miefigen Raum wie die Antworten einer Kirchengemeinde. Das darauf eintretende Schweigen setzte einen Schlusspunkt; die Stunde war beinahe um. Alle standen auf, umarmten sich und sprachen das Gelassenheitsgebet. Und dann war das Treffen vorbei, und die Abhängigen gingen im Gänsemarsch nach draußen und stiegen die knarrende Holztreppe zum Friedhof der Hampstead Church hinauf.
    Simons Handy läutete. Er blieb stehen und ging dran.
    »Quinn! Ich bin’s.«
    Obwohl auf dem Display Rufnummer unterdrückt stand, erkannte Simon die Stimme sofort.
    Es war Bob Sanderson. Sein Mitstreiter, seine Quelle, sein Mann bei der Polizei: ein Detective Chief Inspector von New

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