Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
Zungenspitze nervös über die Lippen. Nachdem er sein Werk vollendet hatte, reichte er siegesbewußt Mucius die Schreibtafel. „Da! Das ist meine Schrift", sagte er.
Die andern drängten sich dicht hinter Mucius und blickten neu gierig auf die Schreibtafel. „Nun?" fragte Rufus beunruhigt. „Warum sagt ihr nichts?" „Hm", brummte Mucius und rieb sich etwas verlegen die Nase. „Die Schrift sieht genau so aus wie die an der Tempelwand", sagte Antonius, der ein sehr gutes Gedächtnis hatte. „Nein", widersprach Flavius, „sie sieht anders aus." „Ich hab' keine Ahnung mehr, wie sie aussah", gestand Mucius. „Ich, ehrlich gesagt, auch nicht", sagte Julius. „Das werden wir gleich haben", sagte Antonius und riß Mucius die Schreibtafel aus der Hand. „Ich lauf zum Tempel und vergleich' die Schriften." „Halt! Ich komm' mit!" rief Publius. „Du schwindelst uns nachher doch nur was vor." „Antonius' Idee ist gut", sagte Mucius. „Aber paßt auf, daß euch beim Tempel niemand erwischt!" „Darauf kannst du Gift nehmen", rief Antonius und flitzte zur Tür hinaus. Publius setzte ihm nach.
Nachdem sie draußen waren, entstand ein verlegenes Schweigen in der kleinen Kammer. Rufus vermied es, seine Freunde anzusehen, und starrte geistesabwesend auf seine bloßen Zehen, die unter der Decke hervorguckten. Nach einer Weile fragte er zögernd: „Seid ihr eigentlich heute nicht in der Schule gewesen?"
„Alle Wetter!" rief Mucius. „Das hätten wir beinahe vergessen, dir zu sagen. Xantippus hat dir wieder verziehen."
Rufus blickte überrascht auf: „Er hat .. . er hat mir verziehen?" sagte er verdattert. „Dann will er auch gar nicht mit meiner Mutter sprechen?"
„Nein", sagte Julius, „er wollte dir damit nur Angst einjagen." Rufus war wie gelähmt. „Wenn ich das gewußt hätte —", murmelte er vor sich hin. Aber die andern achteten nicht drauf, und Flavius sagte: „Du darfst nach den Ferien wieder in die Schule kommen." „Wir haben nämlich Ferien bekommen", sagte Julius und berichtete aufgeregt von dem Uberfall auf Xantippus. „Von wem ist er denn überfallen worden?" fragte Rufus staunend.
„Das ist ein großes Rätsel", sagte Mucius. „Xantippus sind nur ein paar lumpige Mathematikbücher und Bilder gestohlen worden. Weiter nichts." Und er erzählte noch von Claudia und den Drohungen ihres Vaters.
Rufus war entsetzt, als er hörte, daß der Senator ihn beim Stadtpräfekten anzeigen wollte. „Aber ich bin es doch wirklich nicht gewesen", stammelte er.
Julius sagte tröstend: „Wenn du es wirklich nicht gewesen bist, gehen wir zum Senator und sagen es ihm." Rufus tat ihm leid. Die Jungen hatten ihn alle gern. Er war ein feiner Kamerad, niemals ein Spielverderber und immer lustig und voller ulkiger Einfälle.
Nun aber hörten sie Antonius und Publius zurückkommen, und Antonius rief schon von draußen: „Es ist Rufus' Handschrift!" Er kam mit der Schreibtafel in der Hand ins Zimmer gelaufen und meldete aufgeregt: „Ich hatte recht. Die Schrift an der Wand sieht ganz genau so aus wie die hier auf der Schreibtafel."
„Stimmt", rief Publius. „Ich wette ein Goldstück gegen eine schäbige Sesterze, daß Rufus es geschrieben hat."
„Ihr könnt mir glauben, ich habe es nicht geschrieben", schrie Rufus.
„Doch", sagte Publius.
„Nein", schrie Rufus noch lauter; doch plötzlich riß er die Augen auf, als sei ihm ein schrecklicher Gedanke gekommen, und er sagte dumpf: „Meine Handschrift ist gefälscht worden."
„Wie? Was?" rief Mucius.
„Jemand hat meine Handschrift nachgemacht", wiederholte Rufus mit Nachdruck. „Aber warum?" fragte Flavius. „Damit alle Leute glauben, ich sei es gewesen", sagte Rufus und starrte angsterfüllt vor sich hin. „Hm", brummte Julius, „und wer, glaubst du, hat deine Handschrift nachgemacht?" Rufus zögerte einen Moment, dann sagte er leise: „Das weiß ich nicht." „Das ist alles Unsinn", sagte Mucius erzürnt. „Du mußt fliehen. Wir wissen auch schon, wohin."
„Nein, ich fliehe nicht", widersprach Rufus heftig. „Wenn ich fliehe, glauben alle Leute erst recht, daß ich es gewesen sei. Mein Vater und meine Mutter auch."
Jetzt verlor Mucius die Geduld und schrie ihn an: „Du bist verrückt! Willst du, daß man dir die Hände abhackt? Oder daß man dich in den Tiber wirft?" Doch er bereute es gleich hinterher, daß er ihn so angeschrien hatte, denn Rufus rief verzweifelt: „Ihr glaubt, daß ich lüge! Ich bin es aber wirklich nicht gewesen."
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