Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
ein Knäuel lebender Schlangen ringelte.
Lukos hatte kleine, listige Augen und musterte die Jungen beinahe haßerfüllt. „Was wollt ihr?" fragte er. Mucius drückte Julius die Kette in die Hand und flüsterte ihm hastig zu: „Du kannst besser reden. Sprich du mit ihm!"
Julius war überrumpelt und legte in respektvoller Entfernung von den Schlangen die Kette auf den Tisch. „Guten Tag!" sagte er höflich. „Wir wollen dich bitten, hellzusehen, wem die Kette gehört. Bei Xantippus, unserem Lehrer, ist eingebrochen worden, und wir hätten gerne gewußt, wer der Einbrecher ist, weil Rufus verhaftet worden ist. Wir sind nämlich Rufus' Freunde, aber er ist bestimmt unschuldig, und deswegen kommen wir zu dir. Wir haben gehört, daß du alles weißt, und vielleicht kannst du uns helfen." Julius verstummte und blickte Lukos hoffnungsvoll an. Aber seine Rede schien keinen Eindruck gemacht zu haben. Der Hellseher starrte wie versteinert auf die Kette und schwieg. Die Jungen wußten nicht genau, ob er hellsah oder mit offenen Augen eingeschlafen war.
Julius räusperte sich und sagte: „Wir glauben, die Kette gehört dem Einbrecher. Wir würden gerne wissen, wie er heißt und wo er wohnt. Das ist doch nicht schwer für dich, nicht wahr?"
Lukos antwortete noch immer nicht; er schloß die Augen und blieb stumm und steif sitzen. Es war unheimlich still. Nur das leise Knistern der brennenden Scheite im Kamin war zu hören.
„Vielleicht will er erst Geld haben", murmelte Publius.
Julius nahm einen neuen Anlauf und sagte zu Lukos: „Wir wollen selbstverständlich bezahlen. Was kostet es, wenn du für uns hellsiehst? Wir haben Geld mit."
Die Wirkung war verblüffend. Lukos sprang auf — er war viel größer, als die Jungen vermutet hatten, mindestens noch einen Kopf größer als Publius, der sehr lang und dünn war —, hieb die Metallkugel auf den Tisch und schrie: „Hinaus!"
Die Jungen waren entgeistert.
„Macht, daß ihr rauskommt, ihr unverschämten Bengel! "kreischte Lukos. Plötzlich griff er blitzschnell in den Korb und warf das Knäuel Schlangen auf sie.
Die Jungen brüllten entsetzt auf, duckten sich rasch, und das ekelerregende Geschoß flog glücklicherweise über ihre Köpfe weg. Nur Flavius wurde von einer Schlange ins Gesicht getroffen; sie prallte jedoch ab und fiel auf den Boden, wo sie sich gereizt aufrichtete und ihn anzischte. Flavius wäre vor Schreck beinahe in Ohnmacht gefallen, aber als seine Freunde, von Panik gepackt, hinausflüdhteten, stieß er einen gellenden Hilfeschrei aus und schoß hinter ihnen her.
Sie stürzten wie von Furien gejagt durch den langen Korridor, quetschten sich alle auf einmal durch die Tür und das Eingangstor und rannten die Breite Straße hinunter bis beinahe zum Forum. Sie machten erst halt, als sie einen öffentlichen Brunnen entdeckten, und schlürften gierig das kühle, klare Wasser, das aus einem steinernen Löwenmaul hervorschoß. Allmählich beruhigten sie sich i (was, und Julius sagte keuchend: „Dieser Lukos ist ein Ekel."
„Wir sind um Haaresbreite dem Tode entronnen", sagte Antonius. „Selbst ein Zauberer sollte nicht mit Schlangen um sich werfen", schimpfte Publius.
„Die waren bestimmt giftig", sagte Antonius und beugte sich wieder über den Brunnenrand. Aber er fuhr mit einem Schrei hoch und wimmerte: „Ha! Hilfe! Eine Schlange hat mich gebissen! Hilfe!" Er wand sich wie in Krämpfen, und die andern standen hilflos um ihn herum. Plötzlich fiel etwas klirrend zu Boden. Es war der Dolch, den er zu sich gesteckt hatte. Er war ihm auf der wilden Flucht unter der Toga nach unten gerutscht und hatte ihn beim Bücken in den Bauch gestochen.
Publius und Julius brüllten vor Lachen. Es war eine Reaktion auf den ausgestandenen Schrecken. Antonius war riesig erleichtert und l.idite auch. Nur Flavius blieb still. Er spürte noch immer voller Grauen die feuchtklebrige Schlangenhaut in seinem Gesicht.
„Wo ist eigentlich Mucius?" fragte Publius und blickte sich erstaunt um.
Von Mucius war nichts zu sehen. Es war schon ziemlich dunkel, und die Straßen begannen zu veröden. Ein heftiger Windstoß fegte eine dichte Staubwolke vor sich her. In der Ferne donnerte es.
Julius war beunruhigt. „Das verstehe ich nicht", sagte er. „Wo kann er geblieben sein?"
„Er ist wahrscheinlich schon vor uns ausgerückt und gleich nach 1 lause gelaufen", sagte Publius.
„Das sieht ihm nicht ähnlich", sagte Julius. „Er ist noch niemals als erster ausgerückt. Er
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