Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
sind in die Apollobibliothek gegangen und haben Scribonus, den Leiter der Bibliothek, um Rat gefragt. Wir kennen Scribonus doch vom vorigen Jahr her. Er ist der berühmte Schriftsachverständige, der behauptet hat, daß Rufus selber, Caius ist ein Dummkopf an die Tempelmauer geschrieben hat, was aber gar nicht stimmte. Scribonus scheint seinen Irrtum bereut zu haben, denn er war diesmal sehr freundlich und empfahl uns ein Buch über berühmte Mathematiker. In dem Buch stand deine Lebensgeschichte. Sie war beinah zwei Seiten lang."
„Jaja, ich weiß", unterbrach Xantippus ihn, sichtlich freundlicher. „Übrigens ein ausgezeichnetes Werk von Alexis. Fahre fort, Julius."
„In der Lebensgeschichte steht, daß du am elften September im Jahre siebenhundertdreiundzwanzig in Athen geboren worden bist. Heute haben wir den elften September und das Jahr siebenhundertdreiundsiebzig. So war es ein Kinderspiel, auszurechnen, daß heute dein fünfzigster Geburtstag ist", fügte er triumphierend hinzu.
Zum grenzenlosen Erstaunen seiner Schüler kicherte Xantippus plötzlich in seinen Spitzbart hinein. Es kam nur alle Jubeljahre vor, daß er lachte.
„Deine Arithmetik in Ehren, mein lieber Julius, aber leider mangelt es dir an Intelligenz."
Julius war gekränkt. „Wieso?" fragte er.
„Es ist zwar schmeichelhaft, daß ihr glaubt, ich sei erst fünfzig Jahre alt; bedauerlicherweise ist das schon lange her."
„Das ist unmöglich", rief Flavius. „Es steht doch schwarz auf weiß im Buch." „Ach, ich weiß", rief Julius, „dieser Alexis, der Verfasser, hat sich geirrt."
„Er hat sich durchaus nicht geirrt, mein Guter. Du hast dich geirrt. Ihr habt nicht daran gedacht, daß es ein griechisches Buch ist. In einem griechischen Buch sind alle Jahreszahlen griechische Jahreszahlen. Ich habe das erst vor kurzem mit euch in der Geschichtsstunde durchgenommen. Da sieht man mal wieder, daß ihr nie aufpaßt. Die Römer beginnen ihre Zeitrechnung mit der Gründung Roms, die Griechen aber mit der ersten Olympiade, die zweiundzwanzig Jahre früher war. Nach römischer Zeit bin ich also nicht im Jahre siebenhundertdreiundzwanzig geboren, sondern im Jahre siebenhunderteins. Caius!" rief Xantippus. „Was kommt heraus, wenn man siebenhunderteins von siebenhundertdreiundsiebzig abzieht?"
„Eine Menge", brummte Caius.
Die Jungen lachten. Caius war aber auch manchmal zu dumm.
„Ruhe!" donnerte Xantippus. „Wenn ihr jedesmal lachen wolltet, wenn Caius etwas Dummes sagt, hättet ihr keine Zeit mehr, etwas zu lernen."
„Von siebenhunderteins bis siebenhundertdreiundsiebzig ist zweiundsiebzig", rief Flavius stolz. Er hatte es sogar im Kopf ausgerechnet.
„Nicht schlecht, mein Sohn", sagte Xantippus. „Ergo bin ich heute nicht fünfzig Jahre alt geworden, sondern zweiundsiebzig. Ihr habt euch also nutzlos in Unkosten gestürzt. Bringt den jungen Sklaven sofort zu Callon, und verlangt euer Geld zurück. Und in Zukunft verbitte ich mir alle Geschenke, seien es Sklaven, Löwen oder sonst etwas. Übrigens", fügte er hüstelnd hinzu, „gebe ich euch heute schulfrei."
Xantippus vertiefte sich in eine Papyrusrolle. Die Angelegenheit war für ihn erledigt. „Danke, Meister Xanthos!" riefen die Jungen erfreut im Chor. Sie sprangen auf und packten ihre Schulsachen zusammen. „Wir geben jetzt zu, es war eine Dummheit, dir einen Sklaven zu schenken, Meister Xanthos", sagte Mucius höflich.
„Eine große Dummheit", riefen die anderen.
Sie ahnten nicht, daß es nicht nur eine große Dummheit war, sondern ein verhängnisvoller Fehler, der sie beinah das Leben gekostet hätte.
2. Kapitel
Warum ist der Sklavenhändler geflohen?
Die Jungen brachen sofort auf, um Udo zu Callon zurückzubringen. Der Sklave folgte ihnen dicht auf den Fersen, anscheinend in sein Schicksal ergeben. Er hielt den Kopf gesenkt, als ob er vermeiden wollte, erkannt zu werden.
Es war noch früh; der Sonnenrand tauchte eben erst hinter den Zweigen der Pinien auf dem Esquilinus auf. In der Breiten Straße, in der die Xanthosschule lag, zeigten sich nur wenige Passanten. Hier und da fegten Straßenkehrer, mit Besen und Schubkarren bewaffnet, den Fahrdamm sauber. Vier Sklaven trabten mit einer eleganten Sänfte, deren Vorhänge zugezogen waren, an den Jungen vorbei. Ein paar verspätete Lastwagen strebten eilig den Tiberbrücken zu, um noch rechtzeitig die Stadt zu verlassen. Auf Befehl des Emperors war jeder Wagenverkehr tagsüber in Rom verboten; sogar Reiter durften
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