Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
warten."
Flavius war plötzlich zu seinem Schreck eingefallen, daß seine Mutter sich ängstigen würde, wenn er nachts nicht nach Hause käme. Dieser Gedanke beunruhigte auch seine Freunde nicht wenig. Ihre Mütter mußten unbedingt verständigt werden. Die Jungen fürchteten aber, daß sie vielleicht nicht mehr wegdürften, wenn sie nach Hause gingen. Sie hatten hin und her beraten. Claudia hatte schließlich vorgeschlagen, Herodus, Caius' Erzieher, zu allen Müttern zu schicken, um ihnen auszurichten, daß ihre Söhne von Caius zu einem Mondfest eingeladen seien und über Nacht in der Villa Vinicius bleiben würden.
Damit hatten die Jungen sich einverstanden erklärt und sich schlafen gelegt.
Flavius dachte jetzt sehnsuchtsvoll an das gute Essen und das mollige Sofa zurück. Er lag zusammengekrümmt hinter einem Monument auf einem Grabhügel, der mit Kieselsteinen bedeckt war. Rechts von ihm ragte eine hohe Tanne in den nächtlichen Himmel. Vor seiner Nase lehnte ein Kranz verfaulter Blumen am Monument. Irgend etwas krabbelte über seine Beine, eine Spinne oder eine Ameise; aber er wagte nicht, sich zu rühren. Die Erde unter ihm war feucht und roch säuerlich. Das Grab mußte erst vor kurzem zugeschüttet worden sein. Dicht neben ihm gähnte eine offene Grube wie ein schwarzes Riesenmaul. Plötzlich ertönte über ihm ein dumpfes Heulen, das ihn bis ins Mark erschütterte. Er fuhr erschrocken hoch und sah eine Eule davonflattern. Erleichtert aufatmend, aber immer noch schlotternd, legte er sich wieder hin. Seine Freunde waren unsichtbar. Er kam sich vor wie der einzige Mensch auf dieser unheimlichen Welt. Die Wartezeit schien ihm eine Ewigkeit zu dauern. Ein goldener Sternenregen schoß über den Himmel. Er wunderte sich, wie das möglich war, denn die Sterne waren doch nur Löcher im Firmament, durch die das Licht der Götterwelt strahlte.
Endlich hörte er auf dem Pfad Schritte knirschen. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Er zog den Kopf rasch zurück; der geheimnisvolle Dicke stampfte so dicht an ihm vorbei, daß er ihn hätte berühren können. Der Mann hatte wieder seinen Mantel an und die Kapuze bis über die Nase gezogen. Durch zwei Löcher in der Haube glitzerten seine Augen im Mondschein.
Flavius' Freunde hatten auch den Dicken entdeckt und beobachteten ihn von ihren Verstecken aus. Er steuerte auf das Mausoleum zu und ging ungeduldig davor auf und ab. Manchmal blieb er einen Augenblick stehen und lauschte. Wie aus dem Boden gewachsen, tauchte der herkulische Exgladiator hinter ihm auf und haute ihm auf den Rücken. Der Dicke fuhr erschrocken herum.
„He, Dicker, der Schuft Udo, der Bote von Pollino, kommt nicht!" hörten die Jungen den Exgladiator sagen.
„Warum nicht?" brummte der Dicke erschrocken.
„Er muß uns gestern nacht belauscht haben. Er ist ausgerückt. Freunde von mir haben ihn unterwegs eingefangen und zu Callon gebracht."
„Warum hast du Udo nicht sofort geholt?" fragte der Dicke.
„Bist ein Schlauberger, was?" höhnte der Exgladiator. „Natürlich hab' ich das versucht. Ich brauch' meine tausend Goldstücke. Ich kam zu spät; Callon hatte Udo inzwischen an ein paar Jungen verkauft. Aber ich hab' einen der Jungen in der Via Sacra erwischt und mitgenommen. Ich hab' ihn eingesperrt und gedroht, ihn umzubringen, wenn er mir nicht sagt, wo Udo ist."
„Na und?" fragte der Dicke.
„Ist eine harte Nuß, der Bursche. Er schweigt wie die Gräber hier." „Ich werde dir sagen, was du mit ihm machst", sagte der Dicke. Caius' Freunde warteten entsetzt darauf, was der Dicke vor schlagen würde. Unglücklicherweise ertönte irgendwo auf dem Friedhof ein metallisches Geräusch. Dann wurde es wieder still.
Der Dicke schaute sich ängstlich um. „Gehen wir lieber dort hinein", flüsterte er dem Exgladiator zu. Sie verschwanden beide im Mausoleum, und die Jungen konnten sie nicht mehr sprechen hören. Doch die beiden Männer erschienen nach kurzer Zeit wieder und gingen gemeinsam den mittleren Pfad entlang, an dem Mucius und Antonius lauerten.
Flavius seufzte erleichtert auf. Flavius war nicht feige, er beteiligte sich an allen Abenteuern; aber diesmal hatte er sich davor gegraust, den fürchterlichen Exgladiator verfolgen zu müssen, ein Ungeheuer, das einem Schlingen um den Hals warf oder einen mit einem einzigen Faustschlag niederschmetterte. Er zögerte vorsichtshalber eine Weile,dann packte er seinen Stock und rannte zum Mausoleum hinüber.
Dort warteten schon Publius, Julius
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