Calibans Krieg
Sie vor sich haben, wenn Sie mit ihm dieselbe Luft atmen.«
»Holden«, wandte Prax ein.
»Ja. Er ist die große Ausnahme«, stimmte sie zu.
Der Botaniker schlug die Augen nieder und hob nach einem Moment den Blick. Er wirkte jetzt fast verlegen.
»Mei ist wahrscheinlich tot«, sagte er.
»Das glauben Sie doch nicht wirklich.«
»Es ist so lange her. Selbst wenn sie ihre Medikamente bekommen hat, haben diese Leute sie wahrscheinlich in eine dieser … Kreaturen verwandelt.«
»Das glauben Sie nicht«, wiederholte sie. Der Botaniker beugte sich vor und runzelte die Stirn, als hätte sie ihn mit einem Problem konfrontiert, das er nicht sofort lösen konnte. »Sagen Sie mir, dass es richtig ist, Io zu bombardieren. Ich könnte jetzt gleich dreißig nukleare Sprengköpfe abfeuern lassen. Wir müssen nur die Maschinen stoppen und die Raketen auf die Reise schicken. Nicht alle werden durchkommen, aber einige werden einschlagen. Sagen Sie es mir jetzt, und ich kann Io in einen Schlackebrocken verwandeln lassen, ehe wir überhaupt dort ankommen.«
»Sie haben recht«, lenkte Prax ein. Er dachte nach. »Warum tun Sie es nicht?«
»Wollen Sie den wirklichen Grund oder meine Rechtfertigung hören?«
»Beides.«
»Ich rechtfertige es folgendermaßen«, begann sie. »Ich weiß nicht, was sich in diesem Labor befindet. Ich kann nicht davon ausgehen, dass sämtliche Ungeheuer dort sind. Wenn ich das Labor zerstöre, vernichte ich möglicherweise zugleich die Unterlagen, die es mir erlauben könnten, die fehlenden Monster zu finden. Ich kenne nicht alle Menschen, die daran beteiligt sind, und ich habe nicht genügend Beweise gegen einige, von deren Beteiligung ich weiß. Die Beweise könnten dort unten liegen. Ich will hinfliegen, es herausfinden und erst danach das Labor zu radioaktivem Glas zerschmelzen.«
»Das sind gute Gründe.«
»Das sind bloß gute Rechtfertigungen. Überzeugend finde ich sie allerdings trotzdem.«
»Aber der Grund ist, dass Mei noch leben könnte.«
»Ich töte keine Kinder«, erwiderte sie. »Nicht einmal dann, wenn es richtig wäre, keine Rücksicht zu nehmen. Sie würden sich wundern, wie oft das schon meiner politischen Karriere geschadet hat. Die Menschen hielten mich für schwach, bis ich den Trick herausgefunden habe.«
»Welchen Trick?«
»Wenn Sie dafür sorgen können, dass die Menschen erröten, hält man Sie für einen harten Knochen«, erklärte sie. »Mein Mann nennt es ›die Maske‹.«
»Oh«, sagte Prax. »Danke.«
Das Warten war noch schlimmer als die Angst vor der Schlacht. Ihr Körper wollte sich bewegen, wollte von dem Sitz wegkommen und durch die vertrauten Gänge wandern. Im Hinterkopf hörte sie Rufe, die nach Taten, nach Bewegung, nach Streit verlangten. Wieder einmal lief sie vom Bug bis zum Heck durch das ganze Schiff. Im Geiste ging sie die Kleinigkeiten durch, die sie über jeden wusste, der ihr auf den Gängen begegnete. Die spärlichen Angaben aus den Geheimdienstberichten, die sie gelesen hatte. Der Mechaniker Amos Burton. Angeblich an mehreren Mordfällen beteiligt. Angeklagt, aber nie verurteilt. Hatte eine Vasektomie durchführen lassen, sobald er das gesetzlich vorgeschriebene Mindestalter erreicht hatte. Naomi Nagata, Ingenieurin. Zwei Masterabschlüsse. Hatte ein volles Stipendium für den Erwerb des Doktortitels auf der Ceres-Station abgelehnt. Alex Kamal, Pilot. Mit Anfang zwanzig in sieben Fällen wegen Trunkenheit und Pflichtverletzungen gemaßregelt. Hatte auf dem Mars einen Sohn, von dem er selbst nichts wusste. James Holden, der Mann ohne Geheimnisse. Der heilige Narr, der das Sonnensystem in einen Krieg gezerrt hatte und den von ihm angerichteten Schaden nicht wahrhaben wollte. Ein Idealist. Die gefährlichste Sorte Mensch, die es überhaupt gab. Und ein guter Mann.
Sie fragte sich, ob das alles eine Rolle spielte.
Der einzige Mitspieler, der nahe genug war, um ohne Zeitverzögerung ein halbwegs normales Gespräch zu führen, war Souther. Vorläufig stand er jedoch immer noch auf derselben Seite wie Nguyen und bereitete sich darauf vor, gegen die Schiffe zu kämpfen, die sie beschützten. Vieles würde wohl von Glück und Zufällen abhängen.
»Haben Sie etwas gehört?«, fragte er, als sie über das Terminal mit ihm sprach.
»Nein«, antwortete sie. »Ich weiß nicht, warum der verdammte Klopskopf so lange braucht.«
»Sie fordern ihn immerhin auf, einem Mann den Rücken zu kehren, dem er bisher bedingungslos vertraut hat.«
»Und
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