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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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mit gerunzelter Stirn. »Ja, das ist richtig«, gab er zu. »Aber Sie kommen trotzdem nicht mit.«
    Auf dem schmalen Flur vor der Luftschleuse waren Stimmen zu hören. Jim Holdens Stimme war nicht so, wie Prax es erwartet hätte. Er hatte angenommen, der Mann müsse ernst und gemessen sprechen. Aber selbst jetzt, wenn er unter Stress stand und knapp und aufgeregt redete, hatte seine Stimme etwas Leichtes. Die Stimme der Frau – Naomi, nicht Cassandra – war nicht tiefer als seine, klang aber dunkler.
    »Das sind die Zahlen«, sagte sie.
    »Sie sind falsch.« Holden duckte sich und betrat die Messe. »Sie müssen falsch sein. Das kann doch gar nicht zutreffen.«
    »Was ist los, Käpt’n?«
    »Die Sicherheitskräfte sind nutzlos«, erklärte Holden. »Sie haben nicht genug Leute, um die Katastrophe zu verhindern.«
    »Vielleicht sollten wir vorsichtshalber nicht mit gezogenen Waffen hineinstürmen«, schlug Naomi vor.
    »Bitte nicht schon wieder diese Diskussion.«
    Sie presste die Lippen zusammen, und Amos zog es vor, die Waffe zu betrachten und noch einmal die Teile zu polieren, die bereits glänzten. Prax hatte das Gefühl, eine Unterhaltung zu verfolgen, die schon viel früher begonnen hatte.
    »Der Mann, der erst zur Waffe greift und hinterher Fragen stellt …«, sagte Naomi. »Das warst du nicht. Das bist du nicht.«
    »Nun ja, heute muss ich es eben sein«, entgegnete Holden mit einem Tonfall, der jegliche weitere Diskussion unterband. Darauf folgte ein unbehagliches Schweigen.
    »Was stimmt denn mit den Zahlen nicht?«, fragte Prax. Holden sah ihn verwirrt an. »Sie sagten, mit den Zahlen sei etwas nicht in Ordnung.«
    »Die Zahlen besagen, dass die Todesfälle zunehmen. Aber das muss falsch sein. Die Kämpfe haben … einen oder anderthalb Tage gedauert. Warum sollte es jetzt schlimmer werden?«
    »Nein«, wandte Prax ein. »Das ist schon richtig. Es ist die Reaktionskaskade. Es wird tatsächlich schlimmer.«
    »Was meinen Sie mit Reaktionskaskade? «, fragte Naomi. Amos steckte die Waffe in die Schachtel und zog einen längeren Behälter hervor, der möglicherweise eine Schrotflinte barg. Er beobachtete Prax neugierig.
    »Das ist ein grundlegendes Problem künstlicher Ökosysteme. In einer normalen, evolutionär entstandenen Umgebung gibt es genügend Vielfalt, um das System zu puffern, wenn eine Katastrophe eintritt. So funktioniert die Natur. Ständig ereignen sich Katastrophen. Aber was wir bauen, kann niemals so umfassend sein. Wenn eine Sache schiefgeht, gibt es nur wenige Maßnahmen, die man zur Kompensation ergreifen kann. Das System ist schnell überlastet und gerät aus dem Gleichgewicht. Wenn dann die nächste Komponente versagt, sind es noch weniger Möglichkeiten, und was übrig bleibt, unterliegt einer noch größeren Belastung. Es ist ein komplexes, nicht adaptives System. Das ist der Fachausdruck dafür. Es ist im Grunde sehr einfach aufgebaut und neigt deshalb zu Kaskaden, und weil es komplex ist, können Sie nicht vorhersagen, wo und wie ein Fehler auftritt. Man kann es nicht berechnen.«
    Holden lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. Es war immer noch seltsam, ihn persönlich zu sehen. Er sah genauso aus wie auf den Bildschirmen, aber irgendwie auch wieder nicht.
    »Ganymed ist der wichtigste Lieferant für Lebensmittel und landwirtschaftliche Produkte außerhalb von Erde und Mars«, sagte Holden. »Das werden sie nicht geschehen lassen. Die Menschen kommen hierher, um ihre Kinder zur Welt zu bringen.«
    Prax legte den Kopf schief. Vor einem Tag hätte er es nicht erklären können. Er hätte nicht genug Blutzucker gehabt, um die Denkprozesse in Gang zu halten. Außerdem hatte er da noch niemanden gehabt, dem er es erzählen konnte. Es war gut, wieder denken zu können, auch wenn er im Augenblick nur schildern konnte, wie schlimm es aussah.
    »Ganymed ist tot«, sagte Prax. »Die Tunnel werden wohl bestehen bleiben, aber die Umwelttechnologien und die gesellschaftlichen Strukturen sind bereits zerstört. Selbst wenn wir jetzt die Umwelttechnik wieder in Gang bringen könnten – was aber eine gewaltige Anstrengung erfordern würde –, wie viele Menschen bleiben überhaupt hier? Wie viele müssen ins Gefängnis? Irgendetwas wird die Nische besetzen, aber es wird nicht das sein, was vorher hier war.«
    »Wegen der Kaskade«, sagte Holden.
    »Genau«, bestätigte Prax. »Das wollte ich gerade Amos verdeutlichen. Es wird alles auseinanderbrechen. Die Hilfslieferungen federn den

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