Calibans Krieg
nicht entkommen«, meinte Amos.
»Sie kennt Dr. Strickland schon ihr ganzes Leben lang«, erklärte Prax. »Für sie gehört er zur Familie.«
»Das heißt, sie haben ihn gekauft«, meinte Naomi. »Oder der Plan wurde schon vor …«
»Vor vier Jahren«, half Prax ihr.
»Vor vier Jahren geschmiedet«, fuhr Naomi fort. »Das ist ein ziemlich langwieriges Unterfangen. Es muss viel auf dem Spiel stehen.«
»Ist es überhaupt eine Entführung? Verlangen sie Lösegeld?«
»Es passt nicht. Zwei Stunden, nachdem Mei durch diese Luke verschwunden ist«, Holden deutete auf das Standbild auf Naomis Bildschirm, »beginnen Erde und Mars, aufeinander zu schießen. Irgendjemand hat sich große Mühe gegeben, kurz zuvor sechzehn kranke Kinder zu schnappen und die Entführungen zu verschleiern.«
»Wenn Protogen nicht erledigt wäre, würde ich behaupten, dass sie in so einem Fall die ersten Verdächtigen sind«, meinte Amos.
»Wer es auch war, er verfügt über enorme technische Möglichkeiten«, ergänzte Naomi. »Sie haben das System der Schule gehackt, ehe das Netz von Ganymed durch den Angriff zusammenbrach, und konnten das Bild dieser Frau in Meis Akte setzen, ohne aufzufallen.«
»Ein paar Kinder in ihrer Schule hatten sehr reiche und mächtige Eltern«, erklärte Prax. »Deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen dort erstklassig.«
Holden trommelte ein letztes Mal mit beiden Händen auf den Tisch. »Damit kommen wir wieder auf die große Frage zurück. Was erwartet uns jenseits dieser Tür?«
»Revolverhelden einer Firma«, warf Amos ein.
»Nichts«, behauptete Naomi.
»Mei«, sagte Prax leise. »Vielleicht ist Mei dort.«
»Wir müssen auf alle drei Möglichkeiten vorbereitet sein: Gewalt, Hinweise sammeln, ein Kind retten. Also schmieden wir jetzt einen Plan. Naomi, ich brauche ein Terminal mit Funkverbindung, mit dem ich mich in ein Netzwerk einklinken kann, das wir womöglich auf der anderen Seite finden, damit du dort eindringen kannst.«
»Ja.« Naomi stand bereits auf und ging zur Leiter.
»Prax, Sie müssen dafür sorgen, dass Mei uns traut, wenn wir sie finden, und uns alle Komplikationen erläutern, die ihre Krankheit während einer Rettung verursachen könnte. Wie schnell müssen wir sie zurückholen, damit sie ihre Medikamente nimmt? Diese und ähnliche Fragen meine ich.«
»Gut.« Prax zückte sein Terminal und machte Notizen.
»Amos?«
»Ja, Käpt’n?«
»Damit bleiben die Gewalttaten an uns hängen. Wir wollen uns ausrüsten.«
Das Lächeln erstreckte sich nicht weiter als bis zu Amos’ Augenwinkeln.
»Verdammt auch, ja.«
14 Prax
Erst als er etwas aß, begriff Prax, wie nahe er dem Zusammenbruch war. Hühnchen aus der Dose mit einer Art scharfem Chutney, weichen und nicht krümelnden Crackern, wie sie in der Schwerelosigkeit bevorzugt wurden, dazu ein großes Glas Bier. Er schlang alles herunter, weil er auf einmal einen unbändigen Heißhunger verspürte.
Nachdem er sich übergeben hatte, verordnete ihm die Frau, die sich anscheinend um all die praktischen kleinen Dinge auf dem Schiff kümmerte – sie hieß Naomi, aber er hätte sie gern Cassandra genannt, weil sie ihn an eine Praktikantin erinnerte, mit der er einige Jahre zuvor zusammengearbeitet hatte –, eine dünne Proteinbrühe, die sein ausgezehrter Verdauungstrakt tatsächlich noch verarbeiten konnte. Im Laufe einiger Stunden setzte auch sein Verstand wieder ein. Immer wieder hatte er das Gefühl aufzuwachen, ohne sich erinnern zu können, vorher eingeschlafen zu sein. Er saß in der Messe von Holdens Schiff und beobachtete die Veränderung seiner Wahrnehmung, konnte mit der Zeit viel klarer denken und genoss das Gefühl, wieder zu sich zu kommen. Alle paar Minuten nahmen einige unterzuckerte Ganglien die Arbeit wieder auf, und es ging noch einmal von vorne los.
Bei jedem Schritt, mit dem er zu echter Bewusstheit zurückkehrte, wurde der Antrieb größer und drängte ihn zu der Tür, durch die Strickland und Mei gegangen waren.
»Ein Doktor also, ja?«, sagte der Große, der Amos hieß.
»Ich habe meinen Abschluss hier gemacht. Die Universität ist wirklich gut. Viel Stiftungsgeld. Oder … das ist jetzt wohl vorbei.«
»Eigentlich habe ich gar keine richtige Schulbildung mitbekommen.«
Die Messe des Versorgungsschiffs war winzig und vom Alter gezeichnet. Die Wände aus gepressten Kohlenstofffasern hatten Risse, und die Tischplatte war von vielen Jahren oder gar Jahrzehnten des Gebrauchs vernarbt. Die Beleuchtung gab
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