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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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sein. Wo so viele Menschen starben, verlor der Tod seine Bedeutung. Er lehnte sich an das Stickstoffbad und barg den Kopf in den Händen. Er war so nahe daran gewesen, so nahe …
    »Wir müssen das Schiff finden«, sagte er.
    »Wir müssen uns zurückziehen und nachdenken«, erwiderte Holden. »Wegen eines vermissten Kindes sind wir hergekommen. Jetzt haben wir es mit einer geheimen wissenschaftlichen Einrichtung zu tun, die gerade zusammengepackt und verlegt werden sollte, und obendrein mit einer geheimen Landeplattform und mit einem dritten Beteiligten, der im gleichen Moment wie wir gegen diese Leute gekämpft hat.«
    »Eine dritte Partei?«, fragte Paula.
    Wendell deutete auf die zerfleischten Leichen.
    »Das waren wir nicht«, sagte er.
    »Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben«, fuhr Holden fort, »und solange wir das nicht wissen, müssen wir in Deckung gehen.«
    »Wir können nicht innehalten«, sagte Prax. »Ich kann nicht aufhören. Mei ist …«
    »Wahrscheinlich ist sie tot«, fiel Wendell ihm ins Wort. »Das Mädchen ist wahrscheinlich tot. Und wenn sie lebt, dann nicht mehr hier auf Ganymed.«
    »Es tut mir leid«, fügte Holden hinzu.
    »Der tote Junge«, widersprach Prax. »Katoa. Sein Vater ist mit seiner Familie von Ganymed geflohen, sobald es ihm möglich war. Um sie in Sicherheit zu bringen. Sie sind jetzt woanders.«
    »Das war eine kluge Entscheidung«, antwortete Holden.
    Prax wandte sich Hilfe suchend an Amos, doch der große Mann stocherte in den Trümmern herum und hielt sich demonstrativ aus allem heraus.
    »Der Junge hat noch gelebt«, fuhr Prax fort. »Basia war sicher, dass der Junge tot ist, und dann hat er gepackt und ist weggegangen. Aber als er an Bord des Transportschiffs gegangen ist, war sein Junge hier. Hier in diesem Labor. Und er hat noch gelebt. Also sagen Sie mir nicht, Mei sei wahrscheinlich tot.«
    Die anderen schwiegen.
    »Sagen Sie das nicht«, wiederholte Prax.
    »Käpt’n?«, rief Amos.
    »Moment«, antwortete Holden. »Prax, ich will nicht behaupten, dass ich völlig verstehe, was Sie durchmachen, aber auch ich habe Menschen, die ich liebe. Ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen, aber ich will Sie dringend bitten, sich genau zu überlegen, welche Strategie die beste für Sie ist. Für Sie und für Mei.«
    »Käpt’n«, drängte Amos. »Sie sollten sich das mal ansehen.«
    Amos stand vor dem zerstörten Glaskasten. Das Gewehr hielt er lässig in einer Hand. Holden ging zu ihm und folgte dem Blick des Mannes zu dem zerstörten Behälter. Prax löste sich von dem Stickstoffbad und gesellte sich zu ihnen. An den Überresten der gläsernen Wände, die noch standen, klebte ein zartes schwarzes Geflecht. Prax konnte nicht erkennen, ob es ein künstliches Polymer oder eine natürliche Substanz war. Auf jeden Fall eine Art von Gewebe mit einer faszinierenden Struktur. Er wollte es berühren, doch Holden packte sein Handgelenk und zerrte ihn so energisch zurück, dass es wehtat.
    Als er dann sprach, klang es gemessen und ruhig, was die Panik, die hinter den Worten lag, nur noch erschreckender machte.
    »Naomi, mach das Schiff startklar. Wir müssen von diesem Mond verschwinden. Auf der Stelle.«

18 Avasarala
    »Was halten Sie davon?«, fragte der Generalsekretär in der linken oberen Ecke des Displays. Oben rechts beugte sich Errinwright einen Zentimeter vor. Er war bereit, sofort einzugreifen, falls ihr der Kragen platzte.
    »Sie haben doch den Bericht gelesen, Sir«, antwortete Avasarala zuckersüß.
    Der Generalsekretär wedelte ungeduldig mit einer Hand. Er war Anfang sechzig und trug die Jahrzehnte mit dem elfenhaften Charme eines Mannes, der sich von gewichtigen Gedanken nicht stören ließ. Während Avasarala im Laufe vieler Jahre vom Posten des Schatzmeisters der Arbeitervorsorge zur Distriktgouverneurin der gemeinsamen Verwaltungszone Maharashta-Karnataka-Goa aufgestiegen war, hatte er im halboffenen Vollzug als politischer Gefangener im wieder aufgeforsteten Anden-Regenwald gesessen. Das langsame, knirschende Getriebe der Macht hatte ihm Berühmtheit geschenkt, und seine Fähigkeit, jederzeit den Eindruck zu erwecken, er hörte aufmerksam zu, hatte ihm den Ruf der Besonnenheit verschafft, wobei er sich jedoch die Unbequemlichkeit ersparte, sich eine eigene Meinung zu bilden. Wäre ein Mensch von Geburt an dazu erzogen worden, den idealen Regierungsvertreter darzustellen, er wäre immer noch nicht so perfekt gewesen wie der Generalsekretär Esteban

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