Caligula - Eine Biographie
angebliche sexuelle Verfehlungen eine Rolle gespielt. Alles deutete somit darauf hin, daß auch Caligula nun der Prozeß gemacht werden sollte. Die Dinge nahmen jedoch eine unerwartete Wendung.
6. Capri und der Weg zum Thron
Gegen Ende des Jahres 30, also vor dem oben geschilderten dramatischen Sturz Sejans im Oktober 31, wurde der achtzehnjährige Caligula von Tiberius zu sich auf die Insel Capri beordert. Ihm wurde – erst jetzt – die Toga Virilis verliehen, wodurch er offiziell unter die Erwachsenen aufgenommen wurde. Es entstand damit der Eindruck, er werde vom Kaiser als Nachfolger in Betracht gezogen. Welche Absichten aber verfolgte der alte Kaiser tatsächlich mit ihm? Verschiedenesdeutet darauf hin, daß er zunächst eine ganz andere Rolle spielte: Er diente der kaiserlichen Sicherheit und hatte damit eher den Status einer Geisel.
Mehrere Ereignisse jener Zeit zeigen, daß das dynastische Prestige der Germanicussöhne ungebrochen, ja durch Mitleid noch gestärkt worden war. Als der Senat gegen Agrippina und Nero vorgegangen war, hatte sich in Rom ein Volksauflauf um die Kurie gebildet. Man trug Bilder beider umher und verlangte von den dort tagenden Senatoren, sie zu verschonen. Beim Sturz Sejans hatte Macro den Auftrag gehabt, im Falle des Scheiterns der Aktion den Drusus aus dem Kerker zu holen und dem Volk zu präsentieren. Man ging also davon aus, auf diese Weise die Machtverhältnisse im Notfall noch einmal kippen zu können. Schließlich wird berichtet, daß sich in dem Moment die Stimmung im Volk von Rom gegen Sejan gewandt und er von einem Umsturzversuch abgesehen habe, als Caligula nach Capri geholt wurde und in der Gunst des Kaisers zu steigen schien. Die Aufnahme des letzten noch unverdächtigen Germanicussohnes in das kaiserliche Gefolge war somit ein geschickter Schachzug des Tiberius – oder seines neuen starken Mannes Macro –, um durch dessen Beliebtheit die eigene Position zu stabilisieren und um ihn zugleich der Instrumentalisierung durch andere zu entziehen.
Für Caligula begann eine neue, nicht weniger bedrohliche Lebensphase. Fortan hatte er in der ständigen Nähe des Tiberius zu leben, der die Verbannung seiner Mutter und den Tod bzw. die Inhaftierung seiner Brüder Nero und Drusus zu verantworten hatte und dessen Einstellung ihm gegenüber bestenfalls zwiespältig gewesen sein kann. Zweifellos feindlich gesinnt waren ihm die Personen in der engsten Umgebung des Kaisers, von denen die meisten schon als solche in mehr oder weniger exponierter Rolle an den Verfolgungen der Germanicusfamilie beteiligt gewesen waren. Für sie mußte die Aussicht auf eine Thronfolge Caligulas als bedrohliche Perspektive erscheinen. Einer von ihnen war Aulus Avillius Flaccus, der als enger Vertrauter sowohl des Kaisers als auch Macros bezeichnet wird und der vom Jahre 32 an als Statthalter von Ägypten eine der höchsten ritterlichen Positionen im Reich innehatte. Er und verschiedene andere strebten eine Alternativlösung hinsichtlich der Nachfolge an: Der Kaiser besaß aus der Ehe seines Sohnes Drusus (II) noch einen leiblichen Enkel, Tiberius Gemellus. Der, ebenfalls auf Capri anwesend, war im Jahre 31 zwar erst etwa zwölf Jahre alt, aber noch zeigte Tiberius keinerlei Anzeichen von Altersschwäche, so daß Gemellus in diesen Kreisen als realistische und erheblich positivere Option für die Zukunft gelten konnte. Caligulas eigenes Schicksal mußte unter diesen Bedingungen als völlig offen erscheinen, und man wird vermuten können, daß vor allem ein Motiv sein Handeln bestimmte – zu überleben. Seine prekäre Lage sollte etwa sechs Jahre andauern und erst durch seine tatsächliche Thronerhebung im Jahre 37 vorläufig beendet werden.
Zunächst wird die Situation auf Capri im Windschatten der Ereignisse in Rom gestanden haben, wo die Majestätsprozesse und Hinrichtungen innerhalb der Aristokratie infolge von Sejans Sturz einen Höhepunkt erreichten. Dessen Ende hatte jedoch keinerlei positive Auswirkungen für Caligulas Familie. Sein Bruder Drusus starb im Jahre 33 den Hungertod in seinem Gefängnis auf dem Palatin, wobei er noch versucht haben soll, die Heufüllung seiner Matratze als Nahrungsersatz zu nutzen. Einzelheiten seines Endes wurden dadurch bekannt, daß Tiberius noch nach dessen Tod im Senat zu seiner eigenen Rechtfertigung die Berichte der verdeckten Ermittler in Drusus’ Umgebung und die seiner späteren Bewacher wortwörtlich und mit allen Einzelheiten verlesen ließ. Daraus ging
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