Caligula - Eine Biographie
hervor, daß der Urenkel des Augustus von Sklaven geschlagen wurde, als er, um Nahrung bettelnd, seine Zelle verlassen wollte, und daß er schließlich in lethargischem Zustand schlimme Verwünschungen gegen Tiberius ausstieß. Im gleichen Jahr fand Agrippina den Tod, durch Selbstmord, wie die offizielle Version lautete, durch Nahrungsentzug, wie man vermutete. Wie reagierte Caligula auf den von Tiberius veranlaßten Tod von Mutter und zweitem Bruder?
Tacitus berichtet über Caligula auf Capri: «Seinen grausamen Charakter verbarg er hinter einer heuchlerischen Bescheidenheit und gab nicht bei der Verurteilung der Mutter, nicht beim Sturz der Brüder einen Ton von sich. Welche Stimmung sich Tiberius auch an einem Tag zugelegt haben mochte, er zeigte die gleiche Haltung, verwendete nicht wesentlich verschiedeneAusdrücke.» (Tac.
ann.
6, 20, 1) Ähnlich Sueton: «Hier auf Capri erprobte man an ihm alle nur erdenklichen Intrigen, suchte, ihn aus sich herauszulocken und zu Beschwerden hinzureißen, doch lieferte er ihnen niemals eine Handhabe, sondern schien das Schicksal der Seinen so vergessen zu haben, als wäre niemandem jemals etwas geschehen. Das aber, was ihm selbst widerfuhr, überging er mit unglaublichem Stillschweigen und legte seinem Großvater und dessen Umgebung gegenüber eine solche Unterwürfigkeit an den Tag, daß nicht ohne Berechtigung gesagt wurde, es habe nie einen besseren Sklaven und einen schlechteren Herrn gegeben.» (Suet.
Cal.
10, 2)
Hier – wie noch häufiger im folgenden – hat man zwischen der sachlichen Information und den moralischen Wertungen der erst nach Caligulas Tod entstandenen Berichte zu unterscheiden. Und vor allem: Man muß sich den Charakter dieser moralischen Wertungen klar machen. Angesichts der gerade von Tacitus selbst immer wieder gegeißelten verängstigten Heuchelei und Unterwürfigkeit auch der Vornehmsten und Mächtigsten der Aristokratie gegenüber dem Kaiser in jener Zeit, angesichts der Tatsache, daß Caligulas Mutter und Brüder gerade durch unvorsichtige Äußerungen über Tiberius, weitergetragen durch Spitzel in ihrer Umgebung, zur Strecke gebracht wurden, angesichts dieser Sachlage wird hier von dem neunzehnjährigen Caligula eine Ehrlichkeit verlangt, die nichts anderes als Dummheit und sein sicheres Ende bedeutet hätte.
Läßt man die doppelte Moral weg, so bleibt: Anders als seiner Mutter, seinen Brüdern und weiteren Mitgliedern der Kaiserfamilie der letzten Jahre gelang es Caligula auf Capri, trotz unberechenbarem Kaiser und feindlich gesinnter Umgebung, seine Position zu behaupten. Den Preis dafür bildeten die Kontrolle der eigenen Gefühle und die Verstellung gegenüber Tiberius. Zugute gekommen sein wird ihm dabei eine Fähigkeit, die Philo von Alexandrien, der als Führer einer jüdischen Gesandtschaft später selbst zweimal mit Caligula zusammentraf und ihn in seiner Darstellung ansonsten meist mit Haßtiraden überzieht, in unverdächtigem Zusammenhang von ihm berichtet: «Er verstand es, aus dem Gesichtsausdruck eines Menschen dessen verborgene Absicht und Stimmung abzulesen.» (Phil.
leg.
263)
Die Gefährlichkeit der Verhältnisse auf Capri zeigen anschaulich zwei Episoden. Iulius Agrippa, ein Enkel Herodes’ des Großen, der in Rom im Haus der Antonia Minor aufgewachsen war, hatte im Jahre 36 von Tiberius die Erlaubnis zu einem Besuch erhalten. Er bekam den Auftrag, den Enkel des Kaisers, Gemellus, auf seinen Ausgängen zu begleiten, wandte sich jedoch statt dessen Caligula zu, dessen Gunst er zu erlangen suchte. Als beide vertrauter geworden waren und eines Tages eine gemeinsame Wagenfahrt unternahmen, sprach Agrippa den Wunsch aus, Tiberius möge möglichst bald Caligula als dem Würdigeren Platz auf dem Thron machen. Ein Freigelassener Agrippas, der den Wagen lenkte, bekam dies mit und brachte, als er selbst wegen eines Kleiderdiebstahls belangt wurde, die Sache vor den Kaiser, dem gegenüber er Agrippas Worte zitierte: «Käme doch endlich der Tag, an dem der Alte das Zeitliche segnet und dich zum Herrscher des Erdkreises einsetzte! Denn sein Enkel Tiberius (Gemellus) wird uns wenig zu schaffen machen, wenn du ihn aus dem Weg räumst, und es käme dann die ganze Welt und besonders ich selbst in eine glückliche Lage.» (Ios.
ant. lud.
18, 187) Tiberius glaubte der Anzeige, und der Königssohn wurde, wie er im Purpurgewand dastand, gefesselt und weggeführt. Für Caligula, der sich selbst in vertrauter Atmosphäre zu keiner Äußerung
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