Caligula - Eine Biographie
Hand. Trotzdem wird sich gegen Ende des Jahres 40 mancher in Rom gefragt haben: Wie lange soll das so weitergehen? Seit vier Monaten war Caligula jetzt wieder in der Stadt und diese Zeit hatte er dazu genutzt, die Senatsaristokratie zu unterwerfen, ökonomisch auszubeuten, im persönlichen Kontakt zu demütigen und in aller Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Chancen für eine erfolgreiche aristokratische Verschwörung tendierten seit der Internierung der Frauen und Kinder der Konsulare auf dem Palatin gegen null. Von dieser Seite war kaum Veränderung zu erwarten. Aber was waren die Pläne des Kaisers? Irgendwann mußte sein Rachebedürfnis für die Anschläge der Aristokratie befriedigt sein. Was würde danach kommen?
Auch Caligula muß sich in dieser Zeit erneut die Frage nach der Zukunft gestellt haben. Die Doppelbödigkeit, die die Kommunikation zwischen Kaiser und den Vornehmsten seit Augustus bestimmte, hatte er schon vor eineinhalb Jahren in einer Weise entlarvt, die eine Wiederaufnahme unmöglich machte. Die grundsätzliche Rivalität zwischen jedem Kaiser und hochrangigen Senatoren, die Wahrheit, die sich hinter der nach außen gezeigten Unterwürfigkeit der Aristokratie verbarg, hatte er – zuletzt im Witz auf Kosten des Pompeius Magnus – offen ausgesprochen. Seine eigene paradoxe Stellung innerhalb der aristokratischen Ranghierarchie hatte er ebenfalls offengelegt. Ein römisches Kaisertum im augusteischen Sinne kam für ihn längst nicht mehr in Frage. Nun hatte er auf die Destruktion der alten Rangordnung gesetzt und sich göttlich verehren lassen. War das eine Alternative? Natürlich nicht, denn er benutzte seine Vergöttlichung ja vor allem dazu, erneut die heuchlerische Selbsterniedrigung der Senatsaristokratie sichtbar zu machen. Sie stellte nur den Höhepunkt der Entehrung der Aristokratie dar und dokumentierte damit ja zugleich, daß in Wahrheit gar keine göttliche Verehrung stattfand.
Ein Zweites kam hinzu. Je länger Caligula die Destruktion der aristokratischen Ehre betrieb, desto mehr dokumentierte er seine eigene Verstrickung in die aristokratische Gesellschaft Roms. Er brauchte, so mußte es scheinen, die Erniedrigung der anderen und die Erhebung über sie, um seine überlegene Position zu manifestieren. Das aber bedeutete, daß er selbst weiterhin dem alten Rangsystem verhaftet war, gerade indem er es zu zerstören versuchte. Der Ausbruch aus den Paradoxien der kaiserlichen Rolle führte somit in neue Paradoxien, die die alten nur in Form einer Inversion der Verhältnisse fortsetzten. Gab es eine Möglichkeit, sich aus diesen Verstrickungen zu befreien? In Rom zweifellos nicht. Eine Monarchie war in den politischen und sozialen Strukturen dieser jahrhundertealten Republik nicht zu realisieren.
Philo erwähnt in dem Bericht über seine Gesandtschaft an Caligula dreimal eine bevorstehende Reise des Kaisers nach Alexandria, in die Stadt also, die er schon als Kind kennengelernt hatte und in der ihm schon damals große Ehrungen zuteil geworden waren: «Er besaß eine unbeschreibliche Liebe zu Alexandria. Es trieb ihn mit aller Kraft, dieses zu besuchen und nach seiner Ankunft sehr lange Zeit dort zu verweilen… Alexandria sei ja sehr groß,» so werden Caligulas Überlegungen zitiert, «und liege an günstiger Stelle der Welt.» (Phil.
leg.
338) Philo macht dafür einerseits den Einfluß des mächtigen Kammerdieners Helikon, selbst Alexandriner, verantwortlich: «Von jenem Augenblick träumte er (Helikon), wo er von der größten und berühmtesten Stadt geehrt würde, im Beisein seines Gebieters und mit ihm sozusagen vor aller Welt. Denn es war kein Geheimnis, daß alles, was Rang und Namen in den Städten (des Reiches) hatte, von den Enden der Welt sich aufmachen und herbeiströmen würde, um Gaius zu huldigen.» (Phil.
leg.
173) Andererseits schreibt er, Caligula habe geglaubt, dort seine göttliche Verehrung Wirklichkeit werden zu lassen. Die Alexandriner hatten sich ja tatsächlich gegenüber den ortsansässigen Juden durch die Förderung des Kaiserkultes profiliert. Iosephus bestätigt die Pläne einer Reise nach Alexandria und berichtet, daß im Januar 41 bereits alle Vorbereitungen dafür abgeschlossen waren. Nach Sueton schließlich plante Caligula in jener Zeit, seinen Aufenthaltsort und den Herrschaftssitzzunächst nach seinem Geburtsort Antium, dann nach Alexandria zu verlegen.
Solche Überlegungen waren weniger abwegig, als sie auf den ersten Blick
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