Callboys - Die Schönen der Nacht
daneben aus.“ Jared stellte sich direkt vor mich, sodass ich zu ihm aufschauen musste. „Hey, ich glaube nicht, dass wir noch irgendwelche Geheimnisse voreinander haben sollten.“
Ich zog eine Braue hoch. „Und ich glaube kaum, was ich heute Morgen gesehen habe, bringt es automatisch mit sich, dass ich dir von nun an alles über mein Privatleben erzählen muss.“
„Nun sag schon“, drängte Jared grinsend.
Ich grinste ebenfalls, schwindlig vom Schlafmangel und der emotionalen Achterbahnfahrt, auf der ich mich befand. „Es ist Sam.“
Nun war es an Jared, eine Braue hochzuziehen. „Sam Stewart? Der Kerl mit dem Ohrring?“
„Ja.“
„Der, der das chinesische Essen mitgebracht hat?“
„Genau der Sam.“
Jared stieß einen leisen Pfiff aus. „Derselbe Typ, dessen Vater wir beerdigt haben?“
„Ja, Jared. Ist das ein Problem?“ Ich funkelte ihn an, aber wieder fehlte der Nachdruck. „Ich brauche unbedingt Kaffee.“
Gemeinsam brachten wir Mrs. Grenady nach oben in die Kapelle, wo nachmittags der Gottesdienst mit ihrer Familie stattfinden sollte. Jared hörte auf, mich über Sam auszufragen, doch als ich uns beiden Kaffee eingegossen hatte und ihm seinen Becher gab, grinste er wieder. Dieses Mal ignorierte ich ihn und trug Shelly auf, Reinigungsflüssigkeit zu bestellen. Offensichtlich hatte sie nicht vor, mit mir zu sprechen, aber sie schniefte und schlug den Katalog des Lieferanten auf.
„Sam Stewart“, wiederholte Jared. „Wow.“
„Was ist falsch an Sam?“, fauchte ich.
Shelly hob den Kopf. „Grace ist mit Sam zusammen?“
„Das geht dich nichts an!“
„Sie ist mit ihm zusammen“, bestätigte Jared.
„Man sollte meinen, dass sie unter diesen Umständen ein wenig mehr Verständnis hätte“, murmelte Shelly vor sich hin.
Ich zog es vor, sie zu ignorieren, denn eigentlich wollte ich sie nicht entlassen. Wer sollte mir dann Kekse backen?
„Ich denke, es war an der Zeit“, stellte Jared nickend fest und lächelte. Offenbar war er plötzlich zum Experten für mein Leben geworden.
„Seid ihr fertig mit euren Kommentaren?“ Ich blitzte die beiden wütend an.
Shelly zuckte die Achseln und griff nach dem Telefon, um die Bestellung aufzugeben. Jared lachte und erklärte, er müsse das Balsamierungszimmer noch sauber machen. Ich war mit meinem Kaffee auf dem Weg in mein Büro, wo ich mir vielleicht die Zeit für ein erfrischendes Nickerchen stehlen konnte, als sich die Hintertür öffnete und Hannah mit ihren Kindern im Schlepptau hereinkam.
Hannah kam niemals hierher. Es war so etwas wie eine Tradition, wenn nicht gar ein Witz, den man sich in der Verwandtschaft erzählte, dass meine Schwester niemals das Beerdigungsinstitut betrat, wo sie während ihrer ersten vier Lebensjahre gewohnt hatte. Nun hastete sie herein, die Hände fest um die Handgelenke ihrer beiden Kinder gelegt.
„Du musst für eine halbe Stunde auf die Kinder aufpassen, bis Mom herkommen und sie abholen kann.“ Hannah verlor keine Zeit.
Zwei kleine Körper prallten gegen mich und umarmten mich enthusiastisch.
„Verflixt!“, rief Melanie mit hoher Stimme, indem sie einen Internetcartoon imitierte, den ich einmal für sie hatte laufen lassen, während ich auf sie aufpasste. „Verflixt, verflixt!“
Ich befreite mich von meiner Nichte und meinem Neffen und sagte ihnen, sie sollten in mein Büro gehen und sich dort aus der Schüssel mit den Süßigkeiten bedienen, eine Aufforderung, der sie willig und ohne zu zögern Folge leisteten. Ich sah meine Schwester an.
Hannah hatte hübsche schwarze Hosen und eine himmelblaue Bluse mit Button-down-Kragen an. Sie trug Make-up und hatte ihre Haare sorgfältig frisiert. Nichts an ihr war grell oder aufdringlich. So wie immer. Trotzdem wusste ich, dass sie sich mehr Mühe gemacht hatte, als sie es normalerweise tat.
„Wo willst du hin?“, erkundigte ich mich misstrauisch.
„Ich habe eine Verabredung. Mom holt sie in einer halben Stunde ab. Ich muss jetzt gehen.“
„Warte, Hannah!“
Das tat sie, aber gerade so eben. Mit hochgezogenen Schultern wandte sie sich um, und jeder Muskel ihres Körpers war so angespannt, dass es aussah, als würde sie gleich vom Boden abheben. „Ich bin schon jetzt zu spät dran, Grace! Komm schon, kannst du das nicht einfach für mich tun?“
Die Art, wie sie das sagte, als wäre ich nie bereit, auf die Kinder aufzupassen, brachte mich dazu, mit den Zähnen zu knirschen. „Das hier ist keine Vorschule! Es ist meine Firma. Ich
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