Callboys - Die Schönen der Nacht
von Rasierwasser.
Ich war diejenige, die sich aus der Umarmung löste. Einer Umarmung, die nicht länger als ein paar Sekunden gedauert hatte, nicht einmal so lange, dass seine Berührung Wärme auf meiner Haut hinterlassen hatte. Ich trat zurück und ging an ihm vorbei, in Richtung der großen Halle. Er starrte mir nach.
„Es war schön, dich zu sehen“, sagte ich. „Aber ich muss zurück. Simon und Melanie …“
„Ja. Richtig, sicher. Richtig.“ Sam nickte und folgte mir.
Als er neben meinem Tisch stand, zögerte er erneut, aber ich saß bereits auf meinem Stuhl und griff nach meinem Roman. Mit einem schmallippigen Lächeln schaute ich kurz zu ihm auf und senkte den Blick dann wieder auf das Buch in meiner Hand, und obwohl er einen Augenblick länger stumm neben mir stehen blieb, als es notwendig gewesen wäre, versuchte Sam nicht, mich dazu zu bringen, ihn noch einmal anzuschauen.
„Es war schön, dich zu sehen, Grace.“
„Auf Wiedersehen, Sam.“
Ich sah nicht auf, um ihn fortgehen zu sehen, aber ich wusste dennoch genau, als er nicht mehr da war.
Im Haus meiner Schwester rannten Melanie und Simon in den Keller, um mit den schlichten Plastikschwertern gegeneinander zu kämpfen, die sie sich für den Prämiengutschein, der im Eintritt enthalten gewesen war, ausgesucht hatten. Meine Schwester bot mir Kaffee an. Ich kann nicht sagen, wer von uns beiden erstaunter war, als ich in Tränen ausbrach.
Sie goss uns Kaffee ein, während ich unter Schluchzen die ganze Geschichte erzählte. Sam mit der Tussi. Wie er gerochen hatte. Dass der kurze Moment seiner Umarmung sich genau wie früher angefühlt hatte. Wie viel mehr als vorher ich ihn jetzt hassen wollte und es immer noch nicht konnte.
Sie hörte mir zu, ohne irgendetwas zu sagen. Die Tatsache, dass sie mir keinerlei Ratschläge erteilte, war es schließlich, die mich aufhören ließ zu weinen. Ich wischte mein Gesicht ab und trank einen halben Becher von dem inzwischen kalten Kaffee.
„Nichts?“, erkundigte ich mich.
Hannah schüttelte den Kopf. „Wie wär’s mit ‚Liebe stinkt zum Himmel‘?“
„Nicht besonders hilfreich.“ Ich stützte mein Kinn in die Hand. „Ich dachte, ich wäre darüber hinweg.“
Sie lachte. „Du hast monatelang Trübsal geblasen. Wenn du dachtest, du bist darüber hinweg, hast du dir selbst etwas vorgemacht.“
„Aber … ich bin nicht die ganze Zeit traurig“, protestierte ich. „Ich weine noch nicht einmal mehr wegen der Sache! Jedenfalls bis heute nicht.“
„Du musst nicht traurig sein, um jemanden zu vermissen und dir zu wünschen, dass er noch bei dir wäre.“
Als die Kinder die Treppen heraufstapften, jeder mit einer Handvoll von der Füllung eines Kissens, das sie zerstückelt hatten, wappnete ich mich gegen eine von Hannahs Explosionen. Stattdessen seufzte meine Schwester nur, rollte mit den Augen, nahm die Füllung, gab jedem einen Becher Schokoladenpudding und schickte sie wieder nach unten.
Ich starrte sie an, bis sie eine Augenbraue hochzog. „Was ist?“
„Er tut dir gut“, wagte ich mich vor.
„Wer?“ Ich hatte sie erwischt, aber sie war nicht bereit, es zuzugeben.
„Er. Wer auch immer es ist.“ Ich nahm mir mehr Kaffee aus der Kanne und wärmte meine Hände an der Tasse, trank aber nicht. “Übrigens verurteile ich dich nicht.“
„Wofür auch?“, lachte meine Schwester.
„Für dein Handeln. Ich verstehe dich. Sei einfach nur vorsichtig, das ist alles.“
Hannahs tiefes Ausatmen endete mit einem weiteren Lachen. „Du denkst, dass ich eine Affäre habe.“
Wir tranken beide Kaffee, während sie lachte und ich mir dumm vorkam. „Hast du keine?“
„Nein, Grace. Himmel, nein.“ Wieder lachte sie und zog dabei eine Grimasse. „Ich mache eine Therapie.“
Mir gingen eine Menge Antworten durch den Kopf, aber ich sprach keine von ihnen aus, während meine Schwester mich ansah und dabei amüsiert wirkte.
„Mach schon, sag es einfach“, drängte sie mich. „Du findest, dass es langsam Zeit wurde?“
„Das wollte ich nicht sagen.“ Obwohl ich es gedacht hatte.
„Es ist in Ordnung“, beruhigte mich meine Schwester. „Es stimmt.“
„Weiß Jerry davon?“ Wieder musterte ich sie, doch dieses Mal ging ich nicht mehr davon aus, dass sie sich durch sexuelle Erfüllung verwandelt hatte. Dennoch sah sie anders aus. Meine Annahme, was den Grund für ihre Veränderung betraf, war nun eine andere, mehr auch nicht.
Hannah zuckte die Achseln. „Inzwischen ja. Zuerst
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