Callgirl
diese Erinnerung zum Lächeln; einen Augenblick lang fühlte ich mich in das Hotel zurückversetzt: reiche japanische Geschäftsleute luden mich zum Drink ein, ich trug ein 800-Dollar-Kleid und kam mir großartig vor. Es war eine ganz angenehme Erinnerung. Allerdings würde ich nicht in dem Restaurant essen wollen. Dieses Kapitel ist abgeschlossen, und ich liebe mein Leben, so wie es jetzt ist.
Außerdem hasst mein Mann Sushi.
Aber zurück zum Februar. Ich unterrichtete wieder, ich ging mit Peach aus, wenn ich glaubte, es ohne zu viel Ermüdungserscheinungen am nächsten Tag oder allzu viel Koks schaffen zu können, und ich arbeitete fast ausschließlich an Wochenenden für sie.
Gesundheitlich ging es mir ein ganzes Stück besser. Womöglich lag es an dem vielen Sushi-Essen. Aber auch sonst hatte sich etwas geändert, mein Unterrichtsstil hatte mehr Schwung, etwas
Leidenschaftliches, Radikales, das vorher nicht da gewesen war. Das merkte sogar ich selbst. Ich glaube, Luis’ Haltung hatte mich an einer empfindlichen Stelle getroffen. Unterstellungen und Klischees sind das Resultat von Unwissenheit und unkritischem Denken. Emma Goldmans Aussage »Das gewalttätigste Element in der Gesellschaft ist die Dummheit« hat mir schon früh eingeleuchtet. Jetzt wuchs meine Entschlossenheit, etwas dagegen zu unternehmen, immer mehr. Der in mir schwelende Zorn, dessen Existenz mir nach Luis’ Abgang bewusst geworden war, hatte seinen Ansatzpunkt und seine Ausdrucksmöglichkeit gefunden.
Der erste Teil meines Seminars über Prostitution war streng historisch. »Alles über vestalische Jungfrauen und so«, wie meine neue studentische Hilfskraft Vicky es gern nannte. Ich war in der Hierarchie noch nicht so weit aufgestiegen, um eine wissenschaftliche Assistentin beanspruchen zu können, aber Vicky war unschlagbar im Fotokopieren, Bücherreservieren und ähnlichen organisatorischen Dingen. Es war wirklich zu schade, dass ich das Risiko nicht eingehen konnte, meine beiden Welten miteinander zu vermischen, denn Vicky und Peach hätten ein großartiges Gespann abgegeben. Vicky war ein Prachtweib, voll jugendlichem Überschwang und dabei doch die Ruhe selbst, noch dazu Single – und ständig am Rande der Pleite; Peach hätte garantiert für einen Verdienst von gut 1000 Dollar die Woche gesorgt …
Gern bezog ich auch die Prostitution von Männern mit ein, was in diesem Seminar ja auch angebracht war, denn das Bedürfnis, Sex für Geld zu kaufen, ist nicht an Geschlecht, Lebensalter oder eine bestimmte ethnische bzw. rassische Identität gebunden. Es war nicht schwer, Beispiele aus der Antike zu finden, denn damals ging man offener mit Homosexualität um, und ihre gesellschaftliche Akzeptanz war höher als heute. Doch wie immer in der Geschichte der Menschheit bedeutete das nicht, dass die Toleranz für alle Zeiten gesiegt hatte.
Eines Tages stand ich vor meinen Dienstagmorgen-Studenten
und beabsichtigte, sie mit Informationen zu schockieren, die sie sicher nicht gern hören würden, aber wohl kaum ignorieren konnten, und die sich womöglich als Stoff für spätere Albträume erweisen würden. Ich habe mich schon immer über Leute gewundert, die der Ansicht sind, dass es sich bei Historikern um brave, weltfremde Unschuldslämmer handelt. Diese Leute haben vermutlich nicht die geringste Ahnung, aus welchen Zyklen der Gewalt und des Horrors sich die Menschheitsgeschichte zusammensetzt. Historiker sind abgebrühte Typen – das können Sie mir glauben.
»Als ich noch an meiner Magisterarbeit schrieb«, sagte ich in dem Kurs, »hatte ich einen Bekannten, der zu sagen pflegte: Als Kaiser Konstantin zum Christentum konvertierte, ging es mit der Welt bergab.« Die Studenten nahmen das locker auf und lächelten höflich, einige produzierten sogar pflichtschuldig einen Lacher.
»Mein Bekannter hatte Recht«, fuhr ich fort. »Konstantins Nachfolger Theodosius erklärte es für ein Verbrechen, Knaben in die Prostitution zu verkaufen, und führte die Todesstrafe dafür ein. Leider wurden seine Edikte von den Ausführenden verdreht – anstatt die Menschenhändler, die Prostituierte verkauften, zu bestrafen, wurden die Prostituierten selbst zum Angriffsziel. In Rom schleppte man die Lustknaben aus den Männerbordellen auf die Straße und verbrannte sie unter dem Jubel der Menge bei lebendigem Leibe.« Schweigen. Das Lächeln war aus den Gesichtern gewichen. »Und ich glaube«, fuhr ich vorsichtig fort, »angesichts der Heuchelei, die nun
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