Callgirl
Da ist es schon einfacher, man geht zu einer Frau vom Fach.
Aber ich stand in diesem Fall nicht zur Verfügung. Vielen Dank auch, aber diesen Teil meiner Sexualität lebe ich lieber in meinem Privatleben aus.
Scuzzy wartete an der Tür, als ich nach Hause kam, und das allgemeine Ambiente des Raums erinnerte mich daran, dass es an der Zeit war, die Katzenstreu zu wechseln. Ich machte mir einen Tee und setzte mich an den Schreibtisch. Die Kopfschmerzen waren noch nicht besser geworden, und ich musste die Abschlussprüfungen für alle vier Kurse vorbereiten.
In zwei Kursen könnte ich natürlich im Prinzip den gleichen Test schreiben lassen. Ich hatte den Kurs über Prostitution in zwei Gruppen geteilt. Aber mein Grundstudium lag noch nicht so lange zurück, dass ich mir selbst etwas vormachen konnte: Wenn ich allen den gleichen Test gab, würden die Teilnehmer der ersten Gruppe garantiert die Fragen an die Teilnehmer der zweiten Gruppe weitergeben. Gegen eine Gebühr, versteht sich.
Was habe ich in diesem Leben gelernt? Man kann alles kaufen.
Vielleicht sollte ich das mit den Tests ganz lassen und stattdessen allen eine schriftliche Hausarbeit aufbrummen.
Ich glaube, dass die bewusste Erinnerung an meine Mutter mich aus dem Konzept gebracht hatte. Zum ersten Mal seit ich angefangen hatte, für Peach zu arbeiten, ließ ich die Frage zu, was meine Mutter wohl von meiner Tätigkeit halten würde. Sie würde vermutlich keinen meiner beiden Jobs billigen. Ich komme nicht aus einer Akademikerfamilie: Vor mir hatte noch niemand in der Familie einen Magisterabschluss gemacht, geschweige denn einen Doktortitel erworben. Es hatte auch niemanden in der Familie besonders beeindruckt. Meine Mutter hätte es wahrscheinlich gutgeheißen, wenn ich Hausfrau und Mutter geworden wäre und vielleicht nebenbei ein paar Gedichte geschrieben hätte … Aber doch nicht Dozentin am College. Und bestimmt nicht Callgirl.
Na ja, das ist ja wohl klar, sagte ich mir missmutig. Als ob es viele Frauen gäbe, deren Mütter in Jubelgeschrei ausbrechen würden, wenn ihre Töchter als Prostituierte arbeiteten. In dieser Hinsicht unterschied sich meine Mutter vermutlich nicht sonderlich von anderen Müttern. Aber … da steckte noch mehr dahinter. In den eineinhalb Jahren seit ihrem Tod hatte ich mich damit abgefunden, was für ein Mensch meine Mutter gewesen war, wie sie gedacht und gefühlt hatte und warum sie die Dinge getan hatte, die sie getan hatte. Ich hatte mich besser damit arrangiert, als ich es Zeit ihres Lebens gekonnt hatte.
Meiner Mutter ging es nur um den äußeren Schein. Sie tat ihr ganzes Leben lang so, als sei die Welt, in der sie lebte, in Wirklichkeit eine ganz andere Welt. Die Realität erschien ihr irgendwie schlecht und verdorben. Nur was wir vorgaben zu sein, war real.
Ich hatte in der Realität leben wollen, hatte mich von meiner Mutter und ihrer Scheinwelt abgewandt und sie damit auf gewisse Weise verraten.
Ich schüttelte den Gedanken ab. Ich konnte es mir nicht leisten, diese spezielle Abzweigung meiner Erinnerungsstraße zu
verfolgen und mich in Schuld- oder Unzulänglichkeitsgefühlen zu ergehen. Ich hatte Arbeit zu erledigen. Und das verdammte Kopfweh ging immer noch nicht weg.
Im Mittelalter glaubte man, starke Kopfschmerzen seien ein Zeichen dafür, dass in der Nacht ein Geist umgehen würde.
Ich griff erneut nach dem Excedrin. Meine Mutter hatte sich den günstigsten Moment ausgesucht, um bei mir zu spuken. Ich würde ihr nicht noch eine Extraeinladung geben.
Kapitel 19
In diesem Sommer machte ich meinen ersten Urlaub seit Jahren.
Peach jammerte, aber ich blieb ja nicht lange weg, nur zwei Wochen. Zwei Wochen zwischen meinen beiden Sommerkursen. Ich konnte gar nicht schnell genug aus der Stadt kommen – die Freiheit rief. Es ist erstaunlich, wie viele Fluchtmöglichkeiten sich auftun, wenn man über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt.
Scuzzy konnte bei Vicky, meiner studentischen Hilfskraft, bleiben und maunzte herzzerreißend auf dem ganzen Weg zu ihrer Wohnung in Fenway. Irene hatte sich bereit erklärt, ab und zu nach dem Rechten zu schauen und die Blumen zu gießen.
Ich flog mit British Airways nach London, wie in dem Sommer vor zwei Jahren, als ich die Vorlesungsreihe gehalten und erstmals überlegt hatte, für einen Escort-Service zu arbeiten. Ich stieg in einem bescheidenen Hotel ab, das eine große Verbesserung gegenüber dem Studentenwohnheim bei meinem letzten Besuch
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