Callgirl
Stammkunden erwarteten dieses Prozedere, aber es war ein höfliches Entgegenkommen, das der Kunde sich erst verdienen musste. Wenn Peach mitbekam, dass ein Mann das Geld benutzte, um die Frauen zu schikanieren, war im Handumdrehen Schluss mit dieser Höflichkeit. »Walter«, sagte sie dann, wenn der Betreffende das nächste Treffen arrangieren wollte, »ich muss dir leider sagen, dass du am Anfang der Stunde zahlen musst. Ich hab das Mädchen angewiesen, dass sie andernfalls gehen soll. Ich dulde nicht, dass man meine Mädchen so behandelt, Walter.« Und Walter oder Fred oder Gary oder wer auch immer akzeptierten die Bestrafung, grummelten eine Weile, bis sich Peach nach ein bis zwei Monaten wieder umstimmen ließ und sie wieder am Ende des Treffens bezahlen durften.
So geriet ich auch in diese schreckliche Situation, als ich die Nacht bei Abe verbrachte. Da er daran gewöhnt war, am Schluss zu bezahlen, nutzte er das aus, und diesmal gab es keine Peach, die ich zur Hilfe rufen konnte, die alles wieder in Ordnung brachte. Das hatte ich nun davon, dass ich Peach hintergangen hatte. Die Strafe folgte sozusagen auf dem Fuß.
Das Interessante an Abe war letzten Endes, dass er ein einziger großer Bluff war. Er hat nie irgendwelche Unis oder Colleges angerufen, um herauszufinden, wo ich unterrichte. Er hat nie bei Annes Eltern angerufen. Sogar Abe muss gewusst haben, dass er eine bestimmte Grenze nicht überschreiten durfte, weil es sonst kein Zurück mehr gegeben hätte. Er war kindisch und egozentrisch, aber er war nicht wirklich böse.
Die Kontrollfreaks waren also die Schlimmsten, aber sie bildeten ja Gott sei Dank nicht unsere einzige Einkommensquelle. Ein Kunde namens Martin, der in Malden wohnte, machte viele von
ihnen wieder wett. Erstens gab es in seinem Fall so gut wie keine moralischen Bedenken: Er hatte keine Frau, keine Freundin und im Grunde auch nicht das Potenzial dazu. Er war geistig zurückgeblieben, lebte von Sozialhilfe und sparte sich von einem kleinen Aushilfsjob in einem Feinkostgeschäft Geld zusammen, um einmal im Monat ein Callgirl zu treffen. Er rief ausschließlich bei Peach an. Peach konnte gut mit Männern wie ihm umgehen. Es gab noch einen ähnlichen Kunden, den ich einigermaßen regelmäßig traf, einen Tetraplegiker in Dorchester, dessen häusliche Pflegerin geduldig in der Küche wartete, während ich mit ihm im Schlafzimmer verschwand. Auch ihm gegenüber war Peach die Hilfsbereitschaft in Person.
So wie sie einerseits in Rage geraten und Kunden anbrüllen konnte, die sie übers Ohr hauen wollten oder gemein zu ihren Mädchen waren, so hatte sie andererseits auch eine mütterliche Seite und konnte überaus liebevoll, geduldig und freundlich sein, wie etwa zu dem Mann in Dorchester oder zu Martin.
Auch Martin hatte seine ganz eigenen Rituale. In seinem kleinen Zimmer lief normalerweise der Fernseher – kein Softporno oder jugendgefährdender Film, sondern irgendeine x-beliebige Sendung, die er gerade angeschaut hatte, als man kam. Ich zog mich langsam vor ihm aus, dann folgte eine kurze Kuss- und Streichelphase, bevor ich seinen Schwanz in den Mund nahm und mich schließlich rittlings auf ihn setzte. Danach kam er dann ziemlich schnell. Er bezahlte und legte ein Trinkgeld obendrauf, das so gering war, dass es in jedem anderen Fall eine Beleidigung bedeutet hätte, aber angesichts seiner Lebensumstände etwas Rührendes hatte, meistens so einen Betrag wie drei Dollar und 87 Cent. Zum Abschied schenkte er mir als zusätzliches Trinkgeld einen kleinen Magneten aus dem Feinkostgeschäft, in dem er arbeitete, und flüsterte: »Wenn du sagst, dass du eine Freundin von mir bist, kriegst du’n Sandwich für einen Dollar weniger.« Irgendwo habe ich immer noch eine kleine Sammlung von
diesen Magneten. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, sie wegzuwerfen, weil sie ihm so viel bedeutet haben.
Martin war also eine Ausnahme. Doch für viele, viele Kunden galt, dass ich ihnen nicht über den Weg traute. Und ohne dieses Vertrauen hätte ich mich für kein Geld der Welt in eine Lage gebracht, in der ich körperlich angreifbar gewesen wäre.
Ich weiß, dass manche Frauen es machen. Ich weiß, dass einige Frauen sich sogar darauf spezialisieren. Ich habe ihre Anzeigen gelesen. Mir ist klar, dass eine große Nachfrage besteht. Es ist vermutlich schwierig, der eigenen Frau im Vorbeigehen zu sagen: »Ach, übrigens, Liebling, ich würde dir heute Abend gern mal’ne Tracht Prügel verabreichen.«
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