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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
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Vergangenheit ein- oder zweimal diese Gefälligkeit erwiesen, und er glaubte mir.
    Es hätte vielleicht funktioniert. Vielleicht wäre es mir gelungen, das Geheimnis zu bewahren, die Story aufrechtzuerhalten, die Vergangenheit zu leugnen. Aber am Ende habe ich nicht selbst entschieden, ob ich die Kellertür verschlossen halten und die Leiche im sicheren Versteck lassen wollte oder nicht. Denn eines Nachts, als ich nicht aufpasste, hat Tony die Tür selbst geöffnet.
    Zu jenem Zeitpunkt lebten wir bereits zusammen, auch wenn wir noch nicht verheiratet waren. Ich hatte seit zwei Jahren nicht mehr für Peach gearbeitet. Ich dachte nicht mehr oft an die Zeit, außer dass ich immer noch den Kurs über Prostitution unterrichtete und immer wieder staunte, wie hartnäckig sich die abgedroschenen Klischees über das Gewerbe hielten, immer wieder staunte, wie häufig das Wort »Erniedrigung« in diesem Zusammenhang auftauchte. Ich fragte mich, ob es etwas ändern würde,
wenn ich ein Buch darüber schriebe, wie es im Escort-Gewerbe tatsächlich aussah.
    Ich erzählte sofort Tony von der Idee. »Ich bin seit Jahren mit Peach befreundet, ich habe sie bei der Arbeit beobachtet, sie kann mir von ihren Erfahrungen berichten, und ich schreibe darüber«, sagte ich. Tony war sehr angetan von meiner Idee und unterstützte mich wie immer. Aber ich musste noch andere Meinungen einholen als die meines Mannes – vor allem da er nicht alle Fakten kannte.
    Ich habe mich einer Lüge durch Unterlassung schuldig gemacht, als ich sagte, dass Seth der einzige Mensch war, der damals beide Seiten von mir kannte und wusste, welchen Tätigkeiten ich nachging. Monate nach jener schrecklichen Nacht im Ritz-Carlton zog ich nachts mit meinem Freund Roger durch die Kneipen und beschloss, ihm davon zu erzählen. Meine Entscheidung wurde vermutlich stark von der Tatsache beeinflusst, dass Roger schwul war, und von daher keine große Gefahr bestand, dass er ein Bündel Geldscheine auf die Bar knallen und seinen Hosenstall vor mir öffnen würde. Es war keine große Sache. Er habe selbst schon mal mit dem Gedanken gespielt, erklärte Roger unbeeindruckt, und behandelte mich dann genauso wie vorher.
    Er war inzwischen umgezogen, und wir hatten locker per E-Mail Kontakt gehalten. Als ich mich mit der Idee trug, das Buch zu schreiben, brauchte ich einen Rat. Wen sollte ich fragen? Nicht Peach; sie wäre entsetzt von der Idee und würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um mich von diesem Plan abzubringen. Nicht Seth; er hätte zu viel Angst, dass er in dem Buch vorkommen könnte (was dann ja auch tatsächlich der Fall war).
    Also schrieb ich eine E-Mail an Roger in Key West und bat ihn um seine Meinung. Er hielt es für eine großartige Idee. Er würde das Buch sofort kaufen, wenn es auf den Markt käme, und außerdem habe er gestern Nacht diesen sagenhaften Typen kennen gelernt, von dem er mir unbedingt erzählen müsse …

    Ich ging zu Bett, aber Tony konnte in dieser Nacht nicht schlafen, und meine E-Mail befand sich noch geöffnet auf dem Bildschirm, als er den Computer aus seinem Tiefschlaf weckte, um ein oder zwei Partien Solitaire zu spielen. Es ist schon merkwürdig: Da war keine innere Stimme, die mich weckte, als ich einige Zimmer weiter schlafend im Bett lag, kein wie auch immer geartetes Omen, das dieses folgenschwere Ereignis in meinem Leben ankündigte.
    Ich hörte nicht mal das Quietschen der rostigen Scharniere, als Tony die Kellertür öffnete.
    Ich hätte sie wahrscheinlich schon längst selbst öffnen sollen. Ich hätte es ihm längst sagen müssen. Es wäre das moralisch und ethisch Richtige gewesen. Es wäre viel angenehmer gewesen als das, was dann tatsächlich geschah. Ich kann mir vorstellen, wie es in ihm ausgesehen hat, als er diese E-Mail las. Ich kann mir vorstellen, wie er sich fragte, welche anderen Türen ich wohl verschlossen hielt, welche anderen Geheimnisse ich verbarg, welche anderen Lügen ich erzählt hatte.
    Nein, das nehme ich zurück. Ich kann es mir nicht vorstellen. Es muss die Hölle für ihn gewesen sein.
    Letztendlich haben wir es überlebt. Wir waren damals beide zu dem Schluss gekommen, dass wir zusammengehörten. Es war … nun, ich will hier nicht zu rührselig werden, aber unsere Liebe war so groß, dass es uns gelungen ist, diese Krise zu meistern. Und so verschwand meine Leiche.
    Trotzdem stehe ich immer noch zu meinen früheren Überlegungen, die ich an jenem Tag in Allston anstellte, als ich aus London

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