Callgirl
darstellte. Ich aß herrlich cholesterinreiche Mahlzeiten im Pub und spielte Touristin. Big Ben. Wachwechsel vor dem Buckingham Palace. Zwei volle verschwenderische Tage für das British Museum. Fleischpasteten. Tee und Clotted Cream. Warmes Bier und kalten Toast.
Als ich diesmal mit der U-Bahn fuhr, klang die Stimme, die mich vor der Bahnsteigkante warnte, nicht mehr ganz so herrisch. Vielleicht lag es daran, dass ich diesmal wusste, dass ich mehr verdiente als sie.
In London werben Callgirls (die anscheinend größtenteils selbstständig arbeiten) für ihre Dienste, indem sie bunte kleine Karten in Telefonzellen anbringen. Auf diesen Karten werden potenzielle Kunden aufgefordert, einen Anruf zu wagen und sich zu amüsieren. Das ist eine Superidee: Ich weiß nicht, wieso wir in den USA noch nicht darauf gekommen sind. Andererseits haben wir eine erheblich größere Zahl von Spinnern und ernsthaft gestörten Leuten als in England. Wer weiß, was da bei uns für Typen anrufen? England ist einen Hauch zivilisierter. Wenigstens sind dort bisher noch keine männlichen Jugendlichen aufgetaucht, die ganze Schulbevölkerungen mit automatischen Waffen dezimieren.
Ich schaute mir Cats an. Und auf dem Rückweg zum Hotel fand ich schließlich einen Namen für das Unbehagen, das mich seit dem Frühling immer wieder quälte. Es war, als würde man von geisterhaften Schatten verfolgt, die einem ständig ausweichen, manchmal gerade außerhalb des Sichtfeldes bleiben, und trotzdem weiß man, dass sie da sind. Sie flüstern in dem leeren Flur hinter dir, du spürst ihre Anwesenheit, die sich ankündigte, als der Wind durch die Vorhänge strich, und fühlst dich hin und her gerissen zwischen dem sicheren Wissen, dass da irgendetwas ist, und der frustrierenden Unfähigkeit, es zu benennen.
In dieser Nacht kam ich auf den Namen.
Ich war einsam.
Oh, ich hatte Freunde – Menschen, die mich besuchten und Wein mit mir tranken und Brettspiele mit mir spielten und Gespräche mit mir führten. Ich hatte Freunde, die mich in die Stadt ausführten und bis zum Morgengrauen mit mir tanzten. Ich verbrachte Zeit für mich allein, weil ich allein sein wollte. Ich hatte keine Schwierigkeiten, Gesellschaft zu finden, wenn mir der Sinn danach stand.
Aber seit Luis nicht mehr da war, gab es niemanden, für den ich der wichtigste andere Mensch auf der Welt war.
Ich hatte nicht gedacht, dass ich gerade das besonders gern wollte. Mein Unterbewusstsein war offenbar anderer Meinung. Die Stadt war voller Pärchen, die miteinander schmusten, sich zärtlich küssten und miteinander lachten. Nachdem ich einmal angefangen hatte, auf sie aufmerksam zu werden, sah ich nur noch Paare.
London ist der ideale Ort für romantische Fantasien über Fremde, weil der Akzent britischer Männer so absolut umwerfend ist – kultiviert und intelligent und sexy in einem. Ich liebte diese Stimmen. Du gehst durch die Straßen, und plötzlich hörst du diesen Mann hinter dir, ein wohliger Schauder läuft dir über den Rücken, und du drehst dich um – und siehst einen kleinen, pummeligen Glatzkopf, der eine Zigarre pafft. Die Stimme, die ich gehört hatte, passte nie zum äußeren Erscheinungsbild. Doch als ich an diesem Abend nach der Cats -Vorstellung zum Hotel zurückging und später allein in meinem Bett lag, dachte ich an die ganzen Stimmen, die ich in der letzten Woche gehört hatte, und wünschte mir von ganzem Herzen, dass ich nicht mehr allein wäre.
An einem glühend heißen Sommernachmittag landete ich wieder in Boston. Das Taxi, das ich mir am Flughafen in Logan nahm, hatte keine Klimaanlage. Was für eine Überraschung! In England funktionierten die Dinge. Wenn sie kaputt waren, sorgte man dafür, dass sie repariert wurden und weiterhin funktionierten.
Willkommen zu Hause.
Das Gefühl der Einsamkeit verstärkte sich noch.
Ich stieg auf meine Badezimmerwaage und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass sie drei Pfund mehr anzeigte als vor dem Urlaub. Wie schön wäre es doch, ein Leben zu führen, in dem es keine Rolle spielte, ob ich zwischendurch mal drei Pfund mehr oder weniger auf die Waage brächte, weil der Mensch an meiner Seite mich so oder so lieben würde. Wenn mein Auskommen,
mein Selbstwertgefühl und mein Lebensstil nicht davon abhingen, was irgendwelche unreifen, unbekannten Männer von meinem Äußeren hielten. Wenn es einen Ort gäbe, an dem ich mich zu Hause fühlen könnte, und einen Menschen, der zu mir gehörte.
Zu meiner
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