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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
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angenommen, sie würde wie eine von ihnen aussehen, wie eine dieser Frauen, die ihre Kleider wie eine Kampfansage, wie eine Rüstung tragen.
    Meine Freundin Irene und ich, selbstgefällig in unserer vermeintlichen Überlegenheit, hatten uns einmal kichernd über diese Frauen lustig gemacht. Wir kamen überein, dass sie in zwei Kategorien fielen: Einige waren wohlhabende, nicht berufstätige Ehefrauen, die für ihre wöchentliche Ration Collagen, Haarspray und Klatsch aus den Vorstädten in die City kamen und sich durch diesen Kontakt mit der Großstadt davon zu überzeugen suchten, dass ihr Leben in Andover oder im südlichen New Hampshire einen Sinn hatte. Die anderen arbeiteten im mittleren Management der Banken und anderen Bürotürme im Umkreis des Einkaufszentrums. Diese Frauen sahen perfekt gestylt aus, weil sie es mussten. Es war ein ungeschriebenes Gesetz in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung. (Na ja, vielleicht galt das auch für die Vorstadthausfrauen.) Sie hatten weniger Muße, weniger freie Zeit und hasteten in der Mittagspause in die Einkaufspassage, um ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen oder eine Halskette, die sie nach der Arbeit bei ihrem Power-Date tragen wollten.
    Irene und ich kicherten über sie. Aber es steckte ein Körnchen Wahrheit in unseren Beobachtungen. Diese Frauen verkörperten die Großstadtszene von Boston. Deshalb sprach alles dafür, dass Peach aussehen würde wie eine von ihnen. Was könnte schließlich großstädtischer sein als die Leiterin eine Begleitagentur?
    Gott weiß, dass ich versucht hatte, mir Peach vorzustellen.
Ihre Stimme klang fröhlich, aber energisch: Sie war eine Frau, die schnelle Entscheidungen traf und normalerweise dazu stand (bis jemand wie ich daherkam, und sie es sich anders überlegte). Sie hatte ein eigenes Unternehmen gegründet und leitete es seit acht Jahren. Von daher war es nicht so weit hergeholt, dass ich sie mir im Kostüm vorstellte. Doch in ihrem Geschäft ging es um Verführung und sexuelle Lust: Unter diesem Aspekt entsprachen die weicheren Stoffe, die die Frauen aus North Andover und Manchester-by-the-Sea zu tragen pflegten, vielleicht eher ihrem Stil. Kostüm oder Kaschmir, das war hier die Frage.
    Ich hörte eine Stimme an meinem Ellbogen. »Jen? Bist du Jen?«
    Ich hatte sie nicht einmal kommen gesehen. Sie war in meinem Alter, ein paar Jahre mehr oder weniger – sie musste in meinem Alter sein, wenn sie bereits seit acht Jahren im Geschäft war und irgendwann eine Schule besucht hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie von ihren Mitarbeiterinnen einen höheren Bildungsabschluss verlangte und selbst nicht auf dem College gewesen war. Sie hatte langes, dickes rotes Haar, ein blasses Gesicht und riesengroße grüne Augen. Sie hätte einem Gemälde von Burne-Jones entstiegen sein können, wären da nicht die Kaki-Hose und die Lederjacke gewesen. Wenn ich mich recht erinnere, bevorzugten die Präraffaeliten eher hauchdünne, fließende Gewänder in ätherischem Weiß.
    Ich streckte ihr die Hand entgegen, und sie zögerte einen Moment, bevor sie sie schüttelte. »Hi, ja, ich bin Jen, du musst Peach sein.« Eine weitere umwerfend geistreiche Bemerkung unserer bekannten Professorin.
    »Lass uns rausgehen«, schlug Peach vor. So viel zum Lunch.
    Wir setzten uns bei Sonnenschein und Wind auf eine Steinmauer. Peach kam ohne Umschweife zur Sache. »Bist du Polizeibeamtin?«
    Ich starrte sie an. »Ähm – nein. Ich habe dich angerufen, weil …«

    »Ich muss ganz sicher sein«, beharrte sie. »Du bist keine Polizeibeamtin?«
    »Nein. Sehe ich so aus?«
    »Na, dann ist ja gut«, erklärte sie – und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
    Ich wünschte, alles im Leben wäre so einfach.
     
    Hinter diesem Verhalten verbarg sich eine ganz bestimmte Logik, nämlich das Evangelium nach Peach. Ich weiß nicht, ob es stimmt oder ob es eine dieser heiß geliebten urbanen Legenden ist, die speziell für Aktivitäten am Rande der Legalität ersonnen werden. Jedenfalls verhält es sich nach dieser verbreiteten Überzeugung folgendermaßen: Wenn man eine Person fragt, ob sie Polizeibeamtin ist und sie die Frage verneint, in Wahrheit aber doch bei der Polizei arbeitet, dann muss das Gericht jede nachfolgende Verhaftung aus formalen Gründen aufheben. Mir kommt das immer noch etwas fragwürdig vor. Aber Peach kannte sich in ihrem Geschäft aus, also nehme ich an, dass sie sich in dieser Frage auch auskannte.
    Für Smalltalk hatte Peach nicht viel

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