Callgirl
übrig. Sogar für diese Situation hatte sie eine fertige kleine Rede parat. »Falls dir einmal ein Kunde verdächtig vorkommt oder du ein komisches Gefühl hast, brich das Treffen ab. Es gibt mehrere Methoden, um aus einer Sache rauszukommen. Wenn du meinst, es ist eine Falle, frag ihn, ob er Polizeibeamter ist. Wenn er dir verdächtig vorkommt, sag, du hast deinen Schlüssel im Auto vergessen und bist gleich wieder da. Dann verschwindest du einfach. Falls es nicht so eilig ist, fragst du mich bei unserem Kontrollanruf, ob deine Schwester angerufen hat.«
»Meine Schwester würde dich nie anrufen«, erklärte ich verwirrt.
»Egal«, erwiderte sie ungeduldig. »Es ist ein Code. Leg wieder auf, sag dem Kunden, deine Schwester hätte sich bei mir gemeldet
und gesagt, dass sich der Zustand deines Schwagers dramatisch verschlechtert hätte. Er sei im Krankenhaus, und du müsstest dringend hin. Sag, es täte dir Leid, und dass er sich bei mir melden soll, ich würde mich um ihn kümmern. Und dann geh. Ich werde mit dir sprechen, bevor er bei mir anruft, so dass ich weiß, was los ist. Bleib niemals bei einem Mann, wenn dir was komisch vorkommt. Vertrau deiner Intuition.«
Man kann von dem System halten, was man will, aber es funktionierte. Niemand von der Agentur wurde je verhaftet, solange ich für Peach tätig war.
So fand unser Treffen also doch noch statt, und Peach versicherte mir, dass ich attraktiv genug sei und jung genug sei (zumindest dem äußeren Anschein nach), um als Callgirl zu arbeiten. Als ich nach Hause ging, fühlte ich mich etwas erschlagen, aber auch auf seltsame Art in meinem Selbstbewusstsein gestärkt. Monate später erzählte mir Peach, sie habe sich bei dieser ersten Begegnung von mir eingeschüchtert gefühlt. Sie habe mich für eine clevere, abgehobene Intellektuelle gehalten, und das habe ihr ein bisschen Angst gemacht. Aber das wusste ich zu jenem Zeitpunkt natürlich nicht. Damals war mir – zum Glück – nur bewusst, dass ich die Musterung bestanden hatte.
Letzten Endes werden wir alle von den Diktaten der Madison Avenue und den Exzessen Hollywoods bestimmt, ob es uns gefällt oder nicht. Ganz gleich, wie vehement wir es bestreiten möchten. Wer behauptet, er sei nicht von den Modebildern oder irgendwelchen Fernsehserien des 20. Jahrhunderts beeinflusst, wer behauptet, er habe sich noch nie mit diesen Idealen verglichen und sich gefragt, ob er den Ansprüchen genüge – dem muss ich leider sagen, dass ich das für eine glatte Lüge halte. Newsweek berichtet über die Jugendkultur, als sei das ein weit entferntes Phänomen, ein Gegenstand anthropologischer Studien; aber ich gehe jede Wette ein, dass die Reporter, die an der Studie arbeiten, eifrig bemüht sind, zu genau der Gruppe zu gehören, über die sie schreiben.
Nehmen Sie mich. Ich habe zwei Magisterabschlüsse gemacht und eine anspruchsvolle Dissertation verfasst. Ich führte ein eigenständiges Leben und war einigermaßen glücklich. Ich stand am Beginn einer beruflichen Laufbahn, von der ich immer geträumt hatte. Und doch – an jenem Nachmittag waren all diese realen, wichtigen Leistungen völlig unwichtig verglichen mit der Freude, die ich empfand, weil man mir versicherte, dass ich jung genug, dünn genug, hübsch genug und verführerisch genug sei, um für einen Escort-Service zu arbeiten und es mit Zwanzigjährigen aufzunehmen.
Vielleicht bin ich doch nicht so schlau.
An dem Abend nach dem Treffen mit Peach arbeitete ich nicht. Ich gab mir stattdessen selbst die Erlaubnis, in meinen neuen Job zu investieren – ich wollte mich innerlich auf meine neue Rolle vorbereiten, sie genauer ausarbeiten und mich in Gedanken daran gewöhnen.
Ich ging in meinen Fitnessklub und blieb drei Stunden dort, mühte mich schwitzend auf dem Stairmaster und beim Krafttraining an den Geräten ab und belohnte mich anschließend mit 20 Minuten Whirlpool. Ich wählte einen Stairmaster neben einer Frau, die ich flüchtig aus dem Fitnesscenter kannte. Sie arbeitete für eines der Software-Unternehmen in der Nähe. Wir trafen uns in größeren Abständen auch außerhalb des Klubs, aber meistens fanden unsere Unterhaltungen statt, während wir an den Geräten keuchten und unseren Pulsschlag kontrollierten. Wir erzählten einander von unserem Liebesleben oder dem Mangel daran, je nachdem, was gerade aktuell war. »Hast du Lust, morgen Abend mit mir zu einer Grillparty zu gehen?«, fragte Susan, den Blick starr auf die leuchtend roten
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