Callgirl
Studentenwohnheim in London, starrte auf meine Vortragsnotizen für den kommenden Morgen und fragte mich nervös, wie die Vorlesung in dieser fremden Kultur wohl laufen würde und was für Fragen die Zuhörer mir wohl stellen mochten. Ich war nervös, aber selbst in jenem Moment kreiste nur die Hälfte meiner Gedanken um die Vorlesung, während sich die andere Hälfte mit der Frage beschäftigte, ob ich Prostituierte werden sollte oder nicht. Ich fühlte mich hin und her gerissen, aber ich fragte mich nicht einen Augenblick, ob ich dazu fähig war.
Ich wusste es einfach. Ich wusste, dass ich hübsch war, aber mein Selbstvertrauen beruhte nicht in erster Linie auf meinem Äußeren. Es hatte eher damit zu tun, dass ich mir meiner Wirkung bewusst war. Bevor ich die miese Ratte getroffen hatte, war ich mit einer ganzen Reihe von Männern – und ehrlich gesagt
auch Frauen – liiert gewesen, und alle haben behauptet, ich sei die beste Geliebte gewesen, die sie je hatten. Nun gut, vielleicht hat das fast jede Frau schon mal gehört, vielleicht haben sie es nur gesagt, weil sie dachten, dass ich es hören wollte. Ich bin bereit, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ich räume ein, dass vielleicht nicht alle ehrlich waren.
Aber du weißt es einfach, wenn du gut bist, wenn du eine Sache wirklich beherrschst, du weißt es tief in dir drin. Es ist ein Bauchgefühl, eine Gewissheit auf irgendeiner nicht rationalen Ebene. Ich wusste, dass ich gut war, wenn es um Sex, Romantik oder Verführung ging. Es war etwas Angeborenes, über das ich gar nicht reflektierte. Wenn ich mit einem Mann flirtete, lief alles ganz automatisch. Ich tat es einfach. Ich dachte nicht darüber nach. Ich flirtete. Und ich kriegte jeden Mann rum. Jeden Mann, den ich wollte.
Dass ich die miese Ratte gewollt hatte, lag nur an meinem schlechten Urteilsvermögen.
Nachdem die anfänglichen Befürchtungen zerstreut waren, vertraute ich auf meine Wirkung. Ich wusste, wenn ich erst einmal mit einem – beliebigen – Mann allein und nackt in einem Zimmer war, dann würde es ihm gefallen. Ich konnte ihn verrückt machen, ihn in Ekstase versetzen, ihn dazu bringen, dass er nach immer mehr bettelte. Ich wusste, dass Bildung und Erfahrung auf ihre Art sehr sexy sein können, dass ich etwas anzubieten hatte, was die Zwanzigjährigen nicht hatten.
Deshalb hatte ich die Anzeige von Peach damals überhaupt eingekreist. Ich war ganz benommen von all den Bildern gewesen, auf denen üppige Blondinen mit silikongepolsterten Brüsten und lockenden Schmollmündern zum sofortigen Besuch ihrer Mösen aufforderten. Mittendrin stieß ich auf die beiden Anzeigen, die Peach geschaltet hatte. Eine richtete sich an die Kunden und war ganz schlicht: »Avanti« stand dort in einem mittelgroßen Inserat mit Schnörkelrahmen, »Für alle, die das Besondere lieben.«
Ich gebe zu, dass das natürlich alles Mögliche bedeuten konnte. Aber zumindest kam die Anzeige ohne Silikon aus, was schon mal ein gutes Zeichen war.
Das zweite Inserat befand sich auf einer anderen Seite, bei den Stellenanzeigen. »Teilzeitbeschäftigung. Zur Bereicherung Ihres Alltags«, lautete der Text. »Voraussetzung: College oder vergleichbarer Bildungsstand.« Das weckte meine Aufmerksamkeit. In keiner anderen Anzeige stand irgendwas von College. Bei dieser Agentur gab es offenbar Kunden, die Wert auf Bildung legten, Kunden, die vermutlich ein gutes Gespräch mit ihren Begleiterinnen wünschten, die nach etwas suchten, was über feste Brüste und leere Hirne hinausging.
Solche Kunden wollte ich treffen – Männer, die der Ansicht waren, dass der akademische Abschluss meine sexuelle Anziehungskraft steigerte und nicht verringerte. Das war eine Möglichkeit.
Es war die einzige Anzeige, die ich einkreiste. Manchmal frage ich mich, was aus mir geworden wäre, wenn es nicht geklappt hätte. Hätte ich mir die Anzeigen dann erneut vorgenommen, hätte ich eine andere ausgewählt, eine, die weniger grell und anstößig war als die anderen? Ich weiß es nicht.
Ich nahm die Zeitung mit nach London und behielt den Namen Avanti im Hinterkopf, während ich vier Tage lang meine Vorlesungen vor Studenten hielt.
Dann war ich wieder zu Hause, und noch bevor ich meine Koffer ausgepackt hatte, rief ich bei Peach an. Das war der Tag, an dem sie mich zu Bruce schickte.
Und so stellte ich fest, dass es Männer gab, die mich treffen wollten – Bruce, der indische Ingenieur und ein Rechtsberater aus dem Bundesparlament.
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