Callgirl
Dennoch war ich immer noch ungeheuer unsicher, was meinen Platz in dieser auf Jugend fixierten Profession anging. Ich drängte Peach erneut zu einem persönlichen Gespräch. Ich wollte einfach sichergehen, dass »die Professorin«
in ihre Welt hineinpasste, dass Bruce und die anderen nicht die absoluten Ausnahmen waren.
Inzwischen hatte Peach anscheinend entschieden, dass es sich lohnte, ihre Zeit in mich zu investieren. Einige Tage nachdem ich den Parlamentarier getroffen hatte, stimmte sie einem Treffen zu. »In Ordnung. Wie wär’s mit einem gemeinsamen Lunch am Donnerstag, Legal Seafoods, Copley, 13 Uhr?« Schnelle Entscheidung, schnelle Planung. Typisch Peach.
Meine Handflächen wurden feucht. »Okay, prima. Ich werde da sein.«
Ich war da. Peach nicht. Genau genommen gelang es ihr, mich eine Woche lang immer wieder zu vertrösten. Sie kam nicht zu Legal Seafoods. Als ich um 14 Uhr bei ihr anrief, redete sie sich mit einem verstauchten Knöchel heraus. Währenddessen hatte ich mich sogar für ein Einkaufszentrum in der City viel zu fein herausgeputzt, saß mit einem kurzen Kostüm und unbequemen Stöckelschuhen seit einer Stunde im Restaurant und musterte hypernervös jede Frau, die durch die Tür kam, um Peach ja nicht zu verpassen. Ich war entnervt.
Sie sagte zwei weitere Treffen ab, glücklicherweise etwas früher. Bei einer dieser Verabredungen hatte ich sogar schon einen Ersatz organisiert, einen wissenschaftlichen Assistenten, den ich aus dem Studium kannte und der mich in meinem Kurs vertreten sollte. Ich konnte unmöglich so weitermachen und meinen richtigen Beruf von einem potenziellen Job untergraben lassen. Außerdem waren die Treffpunkte, die Peach vorschlug, nie bequem zu erreichen: Um von meiner Wohnung in Allston in die City zu kommen, musste ich ziemlich lange fahren, und dann dauerte es ewig, bis ich einen Parkplatz gefunden, das Restaurant ausfindig gemacht und alle in Frage kommenden Gäste gemustert hatte.
Ich dachte allmählich, dass es nie zu diesem Treffen kommen würde. Es war, als ob die Zeit, die ich mit Bruce auf dem Boot verbracht hatte, nur ein Traum gewesen wäre, eine Momentaufnahme,
etwas so Flüchtiges, dass es kaum die Erinnerung lohnte. Der indische Ingenieur, den Ellie mir vermittelt hatte, zählte nicht wirklich. Ich war nur 20 Minuten mit ihm zusammen gewesen (höchstens), und ich glaube nicht, dass er mir in dieser Zeit ein einziges Mal ins Gesicht geschaut hatte. Der Parlamentarier hatte sich mehr für die Verwegenheit seines Aktes interessiert als für die Person, die außer ihm daran beteiligt war. Ich hatte also noch nicht besonders viele Erfahrungen, auf die ich mich stützen konnte.
Gleichzeitig wurde ich allmählich ganz besessen vom Thema Prostitution. Nach dem ersten kurzen Kontakt damit saugte ich alle verfügbaren Informationen auf wie ein Schwamm – aber vielleicht wurde auch nur die Forscherin und Wissenschaftlerin in mir geweckt. Ich hatte angefangen, Bücher über Prostitution zu lesen, und beschäftigte mich in Gedanken ständig mit der Thematik.
Aber ich schaffte es nicht einmal, meine eigene Puffmutter zu treffen.
Schließlich trug Peach mir auf, in einer anderen Filiale von Legal Seafoods auf sie zu warten, diesmal in der Prudential Mall. Ich machte mich zwar auf den Weg, hatte mich aber innerlich bereits damit abgefunden, auch diesmal wieder versetzt zu werden. Ich machte mir nicht mal mehr die Mühe, mich schick anzuziehen. Da es sowieso sinnlos schien, trug ich einfach meine übliche Wohlfühluniform – Jeans, Sweatshirt, Turnschuhe.
Diesmal hatte ich mir einen Plan gemacht. Nach dem fruchtlosen Warten würde ich wie üblich bei Peach anrufen, mir eine weitere unglaubwürdige Ausrede anhören und dann den Nachmittag in der Bibliothek des Boston College verbringen. Dazu passte auch mein Outfit. Diesmal war ich vorbereitet, und ich hatte mir sogar etwas Arbeit für die Wartezeit im Restaurant mitgebracht. Ich würde nicht noch mehr kostbare Zeit vergeuden, die sich konstruktiv nutzen ließ. Mittlerweile war ich der Sache etwas
überdrüssig. Nicht eine Sekunde lang glaubte ich, dass Peach tatsächlich zu der Verabredung kommen würde.
Sie kam.
Sie sah völlig anders aus, als ich erwartet hatte. Ich hatte mir den spröden Mannequintyp vorgestellt, eine von diesen Frauen, die man in der Bostoner City herumlaufen sieht und die das Ergebnis stundenlanger Aufenthalte in Fitnesscentern und Geschäften an der Newbury Street sind. Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher