Callgirl

können das Alter einer Frau nicht einschätzen. Das gilt insbesondere, wenn man ihnen gegenüber bereits eine bestimmte Altersangabe gemacht hat.
    Als ich anfing, für die Agentur zu arbeiten, stand ich einige Monate vor meinem 34. Geburtstag, aber Ellie, die Assistentin von Peach, nahm sich dieses Problems sehr schnell an.
    Am Tag nach meinem ersten Treffen mit Bruce rief ich bei Peach an, um Bescheid zu geben, dass ich am Abend zur Verfügung stand. Peach allerdings nicht, wie sich herausstellte. »Es ist mein freier Abend, ich gehe aus«, erklärte sie. »Aber mach dir keine Sorgen, ich habe meiner Assistentin Ellie von dir erzählt. Sie wird noch kurz mit dir sprechen.« Das machte mich ein bisschen nervös, aber ich war aufgedreht – und auch mein Bankkonto erinnerte mich daran, dass es noch nicht der richtige Zeitpunkt war, um einen Abend freizunehmen. Außerdem durfte ich jetzt nicht kneifen, weil ich sonst vielleicht nie wieder den Mut aufbringen würde, um anzurufen. Ich hatte gerade eine Glückssträhne. Das musste ich ausnutzen.
    Ellie erledigte den Telefondienst und rief mich gegen 19 Uhr an, um sich ein paar Notizen zu machen. Sie benötige eine allgemeine Beschreibung von mir, erklärte sie, die dann hoffentlich auf die Anfrage eines Kunden passen würde. Außerdem erkundigte sie sich nach meinem Alter. Ihre Reaktion war offen und unverblümt: »Unmöglich. Niemand will eine Frau treffen,
die über 30 ist.« Ich versuchte, ihr zu erklären, dass die reine Zahl nicht das Entscheidende sei: »Bei der Arbeit hält man mich immer für eine Studentin«, beteuerte ich. »Ich bin zwar 33, aber ich sehe wirklich jünger aus.«
    Doch für Ellie war die Zahl ganz offenkundig das Entscheidende. »Diese Typen habe keine Vorstellung, wie irgendwer über 30 aussieht. Es sind Schwachköpfe, die nur einen einzigen Gedanken in ihrem Erdnusshirn haben.« Wie ich noch herausfinden sollte, hatte Ellie keine besonders hohe Meinung von der Kundschaft. Eigentlich von niemandem, wenn ich’s mir recht überlege. »Sogar 28, 29 ist für die schon jenseits von gut und böse. Das ist denen einfach zu alt. Ich kann dir kein Treffen vermitteln, wenn ich sage, dass du 33 bist.«
    »Okay«, ich würde mich nicht streiten. Sie kannte sich in dem Geschäft besser aus als ich. Neues Spiel, neue Regeln. Ich war bereit zu lernen. Später erfuhr ich, dass Ellie selbst gerade 20 geworden war.
    Sie redete immer noch. »Wir sagen, du bist 24, dann kannst du noch gut als höheres Fachsemester durchgehen. Einige Typen stehen auf dieses intellektuelle Ding. Du bist genau die Richtige für die Schlauköpfe – die wollen immer’ne Schülerin oder’ne Studentin.«
    Es funktionierte und brachte mir an jenem Abend tatsächlich einen Kunden ein – einen freundlichen Ingenieur aus Neu-Delhi. Danach gab Peach mein Alter im Allgemeinen mit irgendwas zwischen 22 und 29 an, je nachdem wie sie den Kunden einschätzte und was er wollte. Ich fand 22 etwas über- bzw. untertrieben, aber keiner der Männer, die ich traf, hat in dieser Hinsicht je Peachs Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen.
    Ich muss gestehen, dass mich die Altersfrage trotz des Vertrauens in mein Äußeres etwas verunsicherte. Immerhin sind Prostituierte in der allgemeinen Vorstellung normalerweise jung – oder sogar minderjährig und fallen in die Schülerinnenkategorie.
Auch bei Frauen vom Typ Femme fatale wird in der Regel die Lolita-Variante dargestellt. Ich hatte Pretty Woman gesehen. Noch Fragen? Sie ist jung – jung genug, um noch Ideale zu haben, wie der Film eilends betont. Bei Half Moon Street , meiner zweiten Informationsquelle, wird Wert auf die Feststellung gelegt, dass das Alter und die Intelligenz von Sigourney Weaver die absolute Ausnahme darstellen, dass sogar ihre Kunden anfangs Zweifel an ihrer Attraktivität hegen. Der Julia-Roberts-Typ – jung, hip, redselig und lieb – ist die konventionelle Norm. Die Hure mit dem goldenen Herzen.
    Ich war nicht jung, hip, redselig oder lieb, und ich machte mir keine Illusionen über den Zustand meines Herzens. Ich würde der Vorstellung nicht entsprechen. Nach der Erfahrung mit Peter, der miesen Ratte, konnte ich im Moment gut auf eine weitere Zurückweisung verzichten.
    Wenn ich über diese ganze Aufregung nachdenke, über die ganzen Gedanken und Sorgen, die ich mir am Anfang machte, so ist das Merkwürdige, dass ich nie auch nur einen Augenblick daran zweifelte, dem Job als solchem gewachsen zu sein. Ich saß im