Callgirl
was sollte ich ihm sagen, wo ich hingehe?«
»Du könntest ihm die Wahrheit sagen.«
»Ja, bestimmt. Du bist ja so tolerant und liberal, aber wie würdest du dich denn fühlen, wenn Catherine zwei Mal die Woche ausginge und mit einem anderen Mann schlafen würde?«
Er sah mich über den Rand des Champagnerglases an. »Wir führen eine offene Beziehung. Catherine kann Sex haben, mit wem sie will.«
»Ja, bestimmt«, ich nickte. »Aber stell dir mal vor, du würdest ihr zuschauen, wie sie sich zurechtmacht – schließlich ist es ja nichts Persönliches, sondern nur Arbeit -, und du siehst, wie sie diese ganze aufregende Unterwäsche anzieht. All diese Dessous, die sie für dich nur ganz selten anzieht, weil sie meistens zu müde ist …«
Meine Stimme verlor sich. Ich hatte selbst promoviert, ich wusste, wie Catherine sich zurzeit wahrscheinlich fühlte. Grenzenlos erschöpft. Offene Beziehung? Ich wette, sie hatte kaum die Energie, um einmal in der Woche mit Seth zu schlafen, geschweige denn mit irgendwelchen anderen Männern. Regelmäßiger Geschlechtsverkehr kostet Energien, und sie steckte mitten in den Vorbereitungen für ihre schriftliche Abschlussarbeit, büffelte vermutlich zehn Stunden am Tag, während sie außerdem noch die Kurse, die sie als Teaching Assistant leitete, vorbereiten musste. Sex verliert in dieser Phase ganz erheblich an Bedeutung.
Ich holte tief Luft und fuhr fort: »Stell dir das vor, und dann stell dir vor, dass sie manchmal nach Hause kommt und dir von
ihren Kunden erzählt … Sie erzählt einfach von ihrer Arbeit, so wie wir das alle tun, um Dampf abzulassen. Sie sagt, der Typ heute Abend habe sie gedemütigt, sie als Schlampe, als Nutte beschimpft … Und dann fragt sie dich, ob du mit ihr ins Bett gehst, sie fasst dich an, und du kannst an nichts anderes denken als an diesen Typ und wie er mit ihr rummacht, dieselbe Brust berührt, die du berührst … Vielleicht törnt es dich an, vielleicht stößt es dich ab, aber es ist dir auf alle Fälle nicht gleichgültig.«
Seth wurde rot. »Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Bei Catherine und mir wäre es wohl ein Problem. Aber das heißt ja nicht, dass es nicht funktionieren könnte, wenn du den Richtigen triffst.«
»Die einzigen Leute, die das bei einem Menschen tolerieren, den sie angeblich lieben, sind Zuhälter und Drogensüchtige.« Ich weiß, das klang grob, aber es war die Wahrheit.
Obwohl ich es eigentlich nie verstanden habe. Solange ich im Geschäft war, habe ich nie eine »normale«, gut funktionierende Beziehung erlebt, in der die Frau als Callgirl arbeitete und der Mann davon wusste. Das funktionierte nur bei Drogenabhängigen und in Beziehungen, in denen Gewalt eine Rolle spielte.
Im Grunde war es wirklich merkwürdig, denn wenn man es sich recht überlegt, könnte es funktionieren. Es müsste eigentlich funktionieren, jedenfalls theoretisch. Meine Tätigkeit bei Peach war für mich ganz klar als »Arbeit« definiert. Es war kein »Sex«. Für die Kunden war es vielleicht Sex (Na, das will ich doch hoffen!), aber nicht für mich. Ich spielte eine Stunde lang eine Rolle in einem sexuellen Szenario, und damit war die Sache für mich erledigt. Hinterher habe ich dann eine Tasse Kaffee getrunken und bin zu meinem eigenen Leben zurückgekehrt.
Eine der Frauen bei Peach berichtete mir einmal, sie habe mit ihrem Freund über die Tätigkeit bei einem Escort-Service geredet, »nur so theoretisch«. Ihr Freund war der Meinung, dass eine Frau, die als Callgirl arbeite, ihren Freund betrüge. Das fanden
wir beide ziemlich hirnrissig, denn nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Man kann es eher damit vergleichen, dass du erst dein Kind küsst, dann deine Schwiegermutter und schließlich deinen Liebsten. Dieselbe körperliche Aktivität, doch völlig unterschiedliche Erfahrungen.
Andererseits muss man wahrscheinlich wieder berücksichtigen, dass dieses Gewerbe genau deswegen existiert, weil Männer den Sex so ernst nehmen.
Und die Probleme fangen natürlich immer erst an, wenn es keine graue Theorie mehr ist. Ich unterrichte: Ich bin wirklich eine sehr gute Lehrerin. Ich bringe Erwachsenen etwas bei, die mich nicht als Rollenmodell betrachten, sondern als Person, die Wissen vermittelt oder Zensuren verteilt. Was ich in meiner Freizeit oder in meinem Nebenjob tue, ändert nichts an meinem pädagogischen Talent, an meiner Fähigkeit, andere zu begeistern, ihre Fantasie anzuregen oder ihren Ehrgeiz zu wecken.
Aber
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