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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
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versucht.«
    »Unwahrscheinlich«, meinte Seth. »Niemand, der irgendwas geworden ist, hat Literatur studiert, mein Schatz. Du bist eine aussterbende Spezies.« Er umarmte mich, trat dann einen Schritt zurück, um mich zu mustern. »Wie geht es dir? Du siehst fantastisch aus.«
    »Mir ist eiskalt«, erklärte ich. »Und ich habe nicht Literatur studiert, ich gehöre nur zufällig zu den wenigen Leuten, die ihre eigene Sprache korrekt anwenden. Was für eine trostlose Aussicht, dass man Literatur studiert haben muss, um seine eigene Sprache zu sprechen.« Ich räusperte mich dramatisch: »Davon abgesehen kann ich dir eine bittere Wahrheit nicht ersparen – der Schlips muss weg. Wer hat den denn ausgesucht?«
    Er schnitt eine Grimasse: »Catherine.« Sie war Seths neue Freundin, eine mehr oder weniger ernsthafte Anwärterin auf die
(im letzten Frühjahr) frei gewordene Stelle als Ehefrau Nummer drei.
    »Ich verstehe.« Ich hob meine Hände in gespielter Resignation. »Nie würde ich es wagen, Catherines Urteilsvermögen in Frage zu stellen.« Ich zog meinen Mantel aus und setzte mich. Ich fühlte mich wohl, entspannt, absolut geborgen bei ihm, auch wenn es schon eine Weile her war, seit wir das letzte Mal zusammen in einem Zimmer gesessen hatten. »Dennoch muss einmal gesagt werden, dass ihre Talente offenbar nicht primär auf dem Gebiet der modischen Ästhetik liegen.«
    »Na ja«, er setzte sich mir gegenüber auf das Sofa, »sie ist vielleicht die erste Frau, mit der ich ausgehe, die diesen Satz verstehen würde. Das ist doch schon ein Fortschritt, oder?«
    Ich lachte. »Mein Gott, Seth, ich freue mich so, dich zu sehen.«
    »Ich mich auch, Tia Maria.« Ich schreckte zusammen, als er mich mit meinem alten Spitznamen anredete.
    »Was ist los?«
    Ich pflückte eine nicht existierende Fussel vom Polster. »Nichts. Es ist nur, dass niemand mich mehr so nennt.« Nicht seit meinen Saufgelagen in Collegetagen, als mir vorzugsweise von Tia Maria schlecht wurde. Damals schickte Seth mir witzige E-Mails, in denen er sich über meine mangelnde Trinkfestigkeit lustig machte, und benutzte diesen Spitznamen, wenn er mich ärgern oder trösten wollte. Mit dieser Erinnerung im Sinn hatte ich Tia als Künstlernamen angegeben, als Peach mich um einen gebeten hatte. »Aber, na ja, als ich dann über einen Namen nachdachte, den ich in meinem Job verwenden könnte, wollte ich etwas, das – ach, du weißt schon, irgendwie eine Verbindung zur mir hatte. So kam ich auf Tia. Deshalb ist es einfach ein bisschen komisch für mich, wenn ich den Namen hier höre, in einem anderen Zusammenhang.« Ich hatte das Gefühl, dummes Zeug zu plappern. Ich musste keine langen Erklärungen abgeben, oder? Nicht bei Seth.

    Er war aufgestanden und öffnete den Champagner, so wie es sich gehört – nämlich indem er den Druck des Korkens mit der Hand abfing. Diejenigen unter meinen Kunden, die Champagner kredenzen, scheinen es mehr zu genießen, wenn der Korken mit einem ohrenbetäubenden Knallen aus der Flasche fliegt und anschließend wie ein Querschläger durchs Zimmer saust. Ziemlich pubertär, jawohl. Und was wollte ich damit nun eigentlich sagen? Davon abgesehen sind unsere Dienste eher auf die nouveau riche ausgerichtet, und zu denen gehörte Seth nun wirklich nicht. Sein voller Name, den Ehefrauen Nummer eins und zwei aus unerfindlichen Gründen beibehalten hatten, lautete Seth Niven Bradford III. »Champagner für meine Lady?«
    Ich nahm das Flötenglas entgegen. Leicht gekühlt, so wie es sein soll. »Danke«, sagte ich fröstelnd.
    Er füllte sein eigenes Glas und setzte sich wieder. Ein Toast hätte jetzt unbeholfen gewirkt, und er verzichtete darauf. »Apropos – geht es dir gut? Ich mache mir Sorgen um dich. Man liest manchmal so Sachen in der Zeitung …«
    Ich nippte am Champagner und lächelte ihn an. »Das ist in deiner Heimatstadt, Seth. In New York gibt es viel mehr Verrückte und viel mehr Boulevardzeitungen. Ich hab dir doch gesagt, es ist in Ordnung. Lass uns nicht über die Arbeit reden, ja?«
    Er ließ das Thema fallen. Das war eine weitere Eigenschaft, die ich an ihm schätzte. Sogar der gleichgültigste Mann reagierte mit einer absolut idiotischen Faszination auf diesen Gesprächsgegenstand, aber Seth konnte einfach ein anderes Thema anschneiden.
    Es ist ein interessantes Phänomen. Probieren Sie es einmal aus. Ich meine das ganz ernst. Wenn Sie das nächste Mal mit einigen männlichen Kumpeln beim Bier sitzen, erwähnen Sie

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