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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
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den Stoff lernen und einen zusätzlichen Schein machten konnten. Das College, an dem ich derzeit unterrichtete, teilte mir mit, dass ich dieses spezielle Seminar im Prinzip unbefristet weiterführen könne.

    Der Dekan höchstpersönlich hatte mich zu einer Tasse Tee und einer kleinen Plauderei in sein Büro gebeten. »Und Sie könnten auch noch einige weitere Kurse unterrichten, Dr. Angell, oder vielleicht den Kurs über Prostitution aufteilen. Uns ist klar, dass wir einige Anreize bieten müssen, um solche begabten Kräfte wie Sie zu halten. Unser College sieht sich selbst gern als eine Institution mit sozialem Verantwortungsgefühl. Wir schlagen vor, Ihr Grundgehalt zu erhöhen und dafür zu sorgen, dass Sie so viele Gruppen unterrichten können, wie Sie möchten.«
    Ich saß da, lächelte blöde und fragte mich insgeheim, wo er letztes Jahr gewesen war, als ich meine Miete nicht zahlen konnte, mich von gefriergetrockneten Nudeln ernährte und schließlich selbst als Prostituierte arbeiten musste, weil seine gütige Institution und ihr soziales Verantwortungsgefühl sich nicht in der Lage gesehen hatte, mir mehr Unterrichtsstunden zu gewähren.
    Ich erhielt mehrere Einladungen für einmalige Gastvorträge zu dem Thema, manchmal hielt ich meinen Vortrag vor einer Gruppe von Vorstandsmitgliedern oder einer Ehemaligenriege, manchmal vor Soziologie-, Anthropologie- oder Geschichtskursen. Ich versuchte, so viele Einladungen wie möglich anzunehmen. Die Bezahlung war annehmbar, aber noch wichtiger war, dass mein Name dadurch bekannt wurde. Und das ist eines der kostbarsten Güter in der akademischen Welt.
    Die ganze Zeit über fühlte ich mich auf absurde Weise zufrieden mit mir selbst. Ich würde Erfolg haben – ich hatte Erfolg -, und das auch noch zu meinen eigenen und nicht zu ihren Bedingungen. Ich erreichte mein Ziel, aber aus eigener Kraft und nicht auf Kosten anderer.
    Ich erinnere mich an einen Vortrag, den ich während meiner Orientierungseinheit, zu Beginn meiner Promotionszeit, hörte. Ein anderer Dekan hatte die Rede gehalten. »Was Sie entwickeln müssen, meine Damen und Herren, und zwar schnell entwickeln
müssen, ist eine Pitbull-Mentalität. Sie können es sich nicht leisten, einander zu helfen. Schauen Sie sich um. Die Hälfte der Leute in diesem Raum wird bei der Graduierung nicht mehr dabei sein. Wenn Sie zu der Hälfte gehören wollen, die es schafft, dann müssen Sie sich das erkämpfen. Denken Sie nicht lange darüber nach, wenn Sie andere skrupellos ausnutzen, um ans Ziel zu gelangen, denn Sie können sicher sein, dass die anderen es im umgekehrten Fall auch nicht anders machen würden.«
    Ich fand das schrecklich, und ich bin mir absolut sicher, dass mein nicht gerade kometenhafter Aufstieg in die Ränge der akademischen Welt hauptsächlich damit zusammenhängt, dass ich mich weigerte, bei diesem Spiel mitzumachen. Es war die richtige Entscheidung. Ich will mir weiterhin ins Gesicht schauen können, wenn ich vorm Spiegel stehe. Verglichen mit dieser Aufforderung war die Entscheidung, Callgirl zu werden, wesentlich moralischer.
    Aber jetzt war ich offensichtlich »back in the high life again«, um mit Steve Winwood zu sprechen.
    Ich fuhr zum North Shore, um einen Gastvortrag am Salem State College zu halten, und ging hinterher, obwohl es lausekalt war, stundenlang am Hafen spazieren. Luis hatte eigentlich auch kommen wollen, musste jedoch an einer Studiengruppe teilnehmen. Aber ich fühlte mich auch allein sehr wohl.
    Peach rief an, als ich auf dem Rückweg von Salem war. »Bist du irgendwo in der Nähe des Chisholm?«, wollte sie wissen.
    »In etwa zehn Minuten«, antwortete ich. Peach denkt in Minuten, nicht in Kilometern.
    »Super. Was hältst du davon, zusammen mit einem anderen Mädel zu einem Kunden zu fahren? Du musst ein bisschen mit ihr herumspielen.«
    »Kein Problem.« Ich hatte einen Großteil meines Grundstudiums mit der Frage verbracht, ob ich hetero oder lesbisch war. Ich war dann zu dem Schluss gekommen (und bin, falls es irgendjemanden
interessiert, immer noch dieser Auffassung), dass wir alle bisexuell sind und dass wir unsere Möglichkeiten extrem beschneiden, wenn wir uns auf nur eine Hälfte der Bevölkerung beschränken. Klar konnte ich mit einem Duo umgehen.
    Das Chisholm ist ein Motel im Norden von Boston, das mit Whirlpool-Badewannen und nicht jugendfreien Kabelkanälen wirbt. Niemand wirft dir auch nur einen beiläufigen Blick zu. Man parkt außerhalb des Zimmers, und

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