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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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entdecken. Die Vögel waren den lieben, langen Tag damit zugange, sie zu fressen, während die gelben sich gleich nebenan versteckten und ihre glücklosen Brüder verspotteten.
    Da auf einmal begriff ich. Es gab keine neue Art. Alle gehörten sie zu derselben Art von Grashüpfern. Diejenigen, die etwas gelber zur Welt gekommen waren, schafften es in dieser Dürre, alt zu werden – die Vögel sahen sie nicht im trockenen Gras. Die grüneren dagegen wurden von den Vögeln geholt, sie lebten so kurz, dass sie gar keine Chance hatten, groß zu werden. Nur die gelberen überlebten, weil sie in dieser Trockenheit die besseren Voraussetzungen dafür hatten. Mr. Charles Darwin hatte recht. Der Beweis war da, vor meiner Haustür!
    Wie unter Schock lag ich im Wasser, starrte zum Himmel hinauf und dachte nach, versuchte, irgendeinen Schwachpunkt in meinen Überlegungen zu finden, irgendeinen Riss in meiner Folgerung. Aber ich fand nichts. Platschend ging ich ans Ufer zurück und zog mich mit Hilfe der großen Blätter des Grünen Elefantenohrs, das praktischerweise dort wuchs, heraus. So schnell ich konnte, trocknete ich mich mit meiner Schürze ab, dann rannte ich nach Hause.
    Dort fand ich die ganze Familie in der Eingangshalle; alle standen sie um eine offene Holzkiste herum. In einem Nest aus Holzwolle thronte eine eckige Maschine aus schwarzem Metall mit vier Flügeln vorn und einem Glasbehälter für Kerosin hinten. In der Mitte zwischen den Flügeln prangte ein dicker runder Messingknopf, der in geschwungener Schrift verkündete, was ich da sah: Chicagos beste Windmaschine.
    »Alle einen Schritt zurück!«, sagte Vater und strich ein Zündholz an. Im nächsten Moment loderte mit einem gewaltigen Zischen die Zündflamme auf, und ein mineralischer Gestank breitete sich aus. Mein Brüder jubelten alle, ich auch, doch aus einem anderen Grund.
    Von da ab wurde das Leben in unserem Haus etwas einfacher. Mutter zog sich über Mittag mit ihrer Windmaschine zurück, und allen ging es besser, vor allem Vater, den sie manchmal einlud, sich mit ihr zurückzuziehen.
    Eine Woche dauerte es, bis ich den Mut aufbrachte, Großvater noch einmal einen Besuch abzustatten. Er saß in seinem Laboratorium in einem abgenutzten Sessel, dessen hervorquellende Füllung von Mäusen zernagt worden war.
    »Ich weiß jetzt, wieso die großen Grashüpfer gelb und die kleinen grün sind«, sagte ich. Dann erzählte ich Großvater von meiner Entdeckung und wie ich dahinter gekommen war. Ich trat von einem Fuß auf den anderen, während er mich ansah und mir schweigend zuhörte. Nach einer Weile fragte er: »Bist du von alleine darauf gekommen? Ganz ohne Hilfe?«
    »Ja«, antwortete ich und berichtete von meinem demütigenden Ausflug in die Bibliothek von Lockhart. Einen Moment lang sah er mich groß an, mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht. Vielleicht war er überrascht, vielleicht auch sprachlos, ich wusste es nicht. Jedenfalls betrachtete er mich, als wäre ich eine Spezies, die er nie zuvor gesehen hatte. Dann sagte er: »Komm mal mit.«
    Er sprach kein Wort, während wir zusammen zum Haus gingen. Oje! Ich hatte das Undenkbare getan, indem ich ihn bei seiner Arbeit unterbrochen hatte. Und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal. Würde er mich Mutter übergeben, damit sie mir eine weitere ihrer Lektionen in gutem Benehmen erteilte? Doch er führte mich in die Bibliothek, zu der wir Kinder eigentlich keinen Zutritt hatten. Also wollte er mir die Lektion selbst erteilen. Vielleicht würde er mich wegen meiner unbeholfenen Theorie tadeln. Oder vielleicht würde er mir mit dem Stock einen Schlag auf die Hände geben. Meine Angst wuchs. Wer war ich denn schon, dass ich mir anmaßte, mir Gedanken über solche Dinge zu machen – ich, Callie Vee aus Fentress in Texas! Ein Niemand von nirgendwo.
    Trotz meiner Furcht sah ich mich gut um, schließlich würde ich nicht noch einmal Gelegenheit dazu haben. Obwohl die schweren, flaschengrünen Vorhänge vor dem großen Doppelfenster zurückgezogen waren, war es dämmrig in der Bibliothek. Direkt neben dem Fenster standen ein breiter Ledersessel und ein kleiner runder Salontisch mit einer Leselampe. Am Boden neben dem Sessel lagen Bücher, mehr Bücher stapelten sich in hohen Regalen aus dem Holz unfruchtbarer Pekannussbäume. (Pekannussbäume kamen nun mal überall in unserem Leben vor, man entging ihnen nicht!) Ein großer Schreibtisch aus Eiche war voller faszinierender Merkwürdigkeiten: ein

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