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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Hals, ein klares Anzeichen für einen beginnenden Ausschlag.
    Sie schnaubte verächtlich. »Dachte ich mir doch. Und jetzt entschuldigst du mich bitte, ich muss noch Bücher einsortieren.«
    Wie demütigend! Fast wäre ich vor Wut in Tränen ausgebrochen, aber weinen vor der alten Schnepfe? Niemals! Schäumend vor Wut verließ ich die Bibliothek. Harry stand vor dem Gemischtwarenladen und sah mir besorgt entgegen.
    Ich kratzte an den Pusteln, die sich an meinem Hals gebildet hatten, und brüllte: »Wozu hat man denn Bibliotheken, wenn sie einem die Bücher dann gar nicht geben?«
    Harry sah sich verstohlen um. »Wovon redest du überhaupt?«
    »Manche Leute sind als Bibliothekare absolut unfähig!«, schimpfte ich. »Und jetzt will ich nach Hause.«
    Auf der langen, schweigsamen Rückfahrt in der Hitze auf dem hoch mit Waren beladenen Wagen warf Harry mir irgendwann einen Blick zu und fragte: »Was ist los, mein Kätzchen?«
    »Nichts«, blaffte ich ihn an. Nichts, gar nichts, abgesehen davon, dass ich vor lauter Wut und Verbitterung fast erstickte und nicht in der Stimmung war, darüber zu reden. Zum ersten Mal war ich froh über die breite Krempe des Sonnenhuts, den Mutter mich gezwungen hatte aufzusetzen, damit ich keine Sommersprossen bekam.
    »Weißt du, was in der Kiste da ist?«, fragte Harry. »In der direkt hinter dir?« Ich machte mir erst gar nicht die Mühe zu antworten. Ich wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Ich hatte einen Hass auf die ganze Welt.
    »Das ist eine Windmaschine«, sagte Harry. »Für Mutter.«
    Jeden anderen meiner Brüder hätte ich angefaucht: Mach dich nicht lächerlich, so etwas gibt es nicht.
    »Wirklich«, sagte Harry. »Du wirst ja sehen.«
    Als wir zu Hause ankamen, waren mir der Lärm und die allgemeine Aufregung beim Entladen des Wagens unerträglich, und ich flüchtete zum Fluss. Ich riss mir den Sonnenhut vom Kopf und Schürze und Kleid vom Leib, warf mich ins Wasser und versetzte Kaulquappen und Schildkröten in Angst und Schrecken. Gut so! Diese Bibliothekarin hatte mir den Tag verdorben, und ich war wild entschlossen, meinerseits anderen den Tag zu verderben. Ich tauchte unter und stieß einen langen, lauten Schrei aus, der mit dem Gurgeln des Baches in meinen Ohren rauschte. Ich tauchte kurz auf, um Luft zu holen, dann tauchte ich wieder unter und schrie noch einmal. Und weil aller guten Dinge drei sind, gleich noch einmal. Das Wasser kühlte mich ab, und nach und nach wurde ich ruhiger. Ein Buch – was war das schon? So wichtig war es doch gar nicht, wenn ich ehrlich war. Eines Tages würde ich alle Bücher der Welt haben, viele, viele Regale voll. Mein ganzes Leben würde ich in einem Bücherturm verbringen. Ich würde von morgens bis abends lesen und Pfirsiche essen und wäre glücklich und zufrieden. Und sollten irgendwelche jungen Ritter in ihrer Rüstung und auf weißen Pferden daherkommen und es wagen, mich anzuflehen – Lass dein Haar herunter! –, dann pfeffere ich ihnen so lange Pfirsichkerne an den Kopf, bis sie wieder abziehen.
    Ich legte mich auf den Rücken und beobachtete ein Schwalbenpärchen, das unermüdlich flussaufwärts und flussabwärts segelte, um sich immer wieder wie Akrobaten auf der Jagd nach unsichtbaren Insekten in die Tiefe zu stürzen. Trotz meiner freien Stunden gestaltete der Sommer sich nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Niemand war an den Fragen interessiert, die ich in mein Notizbuch schrieb. Niemand war daran interessiert, mir dabei zu helfen, die Antworten zu finden. Die Hitze saugte das Leben aus allen und allem.
    Ich dachte an unser großes, altes Haus, das wir alle so liebten und das jetzt inmitten des vertrockneten, gelben Rasens so traurig aussah. Normalerweise war das Gras weich und kühl und grün, es lud uns ein, die Stiefel auszuziehen und barfuß darüber zu laufen oder Statue zu spielen, aber jetzt war es völlig versengt, es leuchtete golden und war für die Füße so gefährlich wie Stoppelfelder. In dem gelben Gras hatte ich Mühe, meine brandneue Entdeckung, die großen gelben Grashüpfer, zu finden. Man sah sie erst, wenn man fast schon daraufgetreten war. Dann flogen sie auf, schwirrten mit klappernden Flügeln schwerfällig ein Stück in die Luft und verschwanden erneut im Gras. Dick und schwer wie sie waren, ließen sie sich kaum einfangen. Die smaragdgrünen zu erwischen, die eigentlich kleiner und flinker waren, war dagegen ein Kinderspiel. Komisch! Aber die waren einfach zu leicht zu

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