Cambion Chronicles 1
Abgrund. Wenn ich diese Erde so verlassen musste, dann wollte ich meine Geisel mit mir nehmen.
Das war ich Caleb, meiner Mutter und Nadine schuldig.
30
E s war einmal ein Mädchen, dessen Haar hatte die Farbe des Sonnenlichts.
Sie war sanftmütig, aber entschlossen, die wahre Welt außerhalb der Bücher und des Fernsehens zu erkunden. Ihre Eltern machten sich zwar Sorgen, aber sie unterstützten ihren Forscherdrang. Obwohl die Welt so grausam gleichgültig ist, zog sie sie in ihren Bann. Jede Antwort, die sie bekam, führte zu einer neuen Frage, und so entdeckte sie eine nie versiegende Quelle des Staunens. Ihre Fantasie kannte keine Grenzen und führte sie immer wieder an ferne Ufer. Die Bilder und Geräusche jedes neuen Landes verzauberten sie und kündeten von Hoffnung.
Ich wurde zu ihrer Reisegefährtin und teilte ihre Neugier, als die Morgendämmerung enthüllte, was der Tag bringen sollte. Für sie veränderte sich die Welt mit jedem Tag, und es galt, sie immer wieder neu zu entdecken und ihr Geheimnis zu lüften. Wir überschritten gemeinsam die Grenze, wichen nie voneinander und glaubten an unsere Stärke. Wir gingen immer weiter, um das Ziel hinter dem Horizont zu suchen. Ich und meine Reiseführerin. Ich und meine Freundin.
Als mein Bewusstsein zurückkehrte, war ich in weiche Laken und warmen Sonnenschein gehüllt. Das Zimmer kam mir bekannt vor, die Einrichtung und die beigefarbene Tapete. Es sah aus wie eine Hotelsuite mit medizinischen Geräten.
Ich drehte den Kopf zur Tür und sah Mom in einem Sessel am Bett sitzen und mich beobachten. Ihre milchweiße Haut zeigte nicht mal einen Hauch von Makeup. Die dunklen Schatten unter ihren Augen verrieten ihre Schwäche und ihre Erschöpfung. Sie sah gestresst aus, ihr sonst so rosiges, rundes Gesicht war eingefallen. Ihre Bluse hing formlos an ihrem Körper herunter und bewies, dass ein Krankenhausaufenthalt die beste Diät der Welt war. Ihr Körper war gebeugt, wie um sich gegen weitere Verletzungen zu schützen.
»Mom?«, fragte ich, unsicher, ob sie es wirklich war.
Ihr Lächeln war das einzig Vertraute an ihr. »Wie geht’s dir, Schätzchen?«
»Ich hab Durst.«
Mom griff nach einer Flasche auf dem Beistelltisch und goss Wasser in ein Glas.
Ich setzte mich auf und fragte: »Wo bin ich?«
Sie reichte mir das Glas. »Du bist im Krankenhaus, in einem der Privatzimmer.«
»Warum?«
Sie nickte. »Wir waren uns einig, dass das im Moment der beste Ort für dich ist.« Ihr Blick war schwer einzuordnen. Mehrere Gefühle schienen in ihr um die Vorherrschaft zu kämpfen. »Wie fühlst du dich?«
Das war eine verdammt gute Frage. Ich verstand nicht, was ich fühlte. Mein Kopf war voller Erinnerungsfetzen, und diese vermischten sich mit anderen, die vorher nicht da gewesen waren.
»Mir tut nichts weh«, sagte ich vorsichtig, in der Hoffnung, dass ihr das reichte. »Wie bin ich hierhergekommen? Was ist passiert?«
Mom senkte den Kopf. Sorgenfalten zerfurchten ihre Stirn, als sie versuchte, zu einer Erklärung anzusetzen. »Woran erinnerst du dich?«
»Ich weiß noch, wie ich zu Hause war und wie Nadine dann … « Ich hielt den Atem an und schlug eine Hand vor den Mund. Ich starrte quer durchs Zimmer, gefühllos für alles außer dem brutalen Schlag der Erinnerung. »Nadine«, flüsterte ich.
»Liebling, es tut mir so leid.« Ohne auf ihre eigenen Schmerzen zu achten, eilte Mom zum Bett und zog mich in die Arme. Sie fühlte sich zerbrechlich an, wie dünnwandiges Glas, das beim Zerspringen eine Million feine Schnittwunden hinterlassen würde. Sie hatte mich seit Jahren nicht mehr so gehalten, und es war ein unendlich vertrautes Gefühl. Ihre Nähe brachte eine meiner ersten Erinnerungen zurück: den Vanilleduft ihres Haars und den Minzegeruch ihres Atems. Warme Finger fuhren mir durchs Haar, massierten meine Kopfhaut und entwirrten die Strähnen.
Ich weinte weiter, als Mom die ganz schweren Geschütze auffuhr und mit dem Lied der Lieder meine Ohren umschmeichelte. Das hatte sie mir immer vorgesungen, als ich ein kleines Mädchen war. Es war das Einzige, was meine Tobsuchtsanfälle beenden und meine Tränen trocknen konnte: »Liebes Kind, weine nicht« aus Dumbo .
Ich lag still an Moms Brust, klammerte mich an ihre Wärme und ihren Trost. Mehr als alles andere brauchte ich etwas Lebendiges neben mir. Ich wollte den Beweis, dass so etwas existierte.
Ich wusste nicht, wie lange ich weinte, aber als ich von ihr abließ, triefte Moms Bluse vor Tränen
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